Parascha Wa’era

Moses and Aaron with the 10 Commandments (Sephardi community in London, 1674). Bildquelle: Wikimedia

2. BM Schemot 6:2-9:35

Zwei Rabbiner in einer Synagoge

Im Drama „Faust“ von Johann Goethe heißt es: „Ach, zwei Seelen wohnen in meiner Brust“. Was hat das mit unserem Kapitel zu tun? Dies geschieht, wenn wir gegensätzliche, manchmal konkurrierende Meinungen haben und uns nicht entscheiden können, welcher Meinung wir den Vorzug geben.

Wir können dieses Kapitel auch mit folgender Überschrift etwas reißerischer nach Art der Bild-Zeitung charakterisieren: „Zwei Rabbiner in einer Synagoge.“. Sie verstehen: zwei Rabbiner, die darum kämpfen würden, wer der erste ist, der etwas zu sagen hat? Das ist gar nicht einmal so selten. In der Hauptstadt von Niedersachsen war dies vor bald 30 Jahren gang und gäbe. Auch in unserer derzeitigen neuen Regierung haben wir ja so mannigfaltige Ähnlichkeiten zwischen Kanzler und Außenministerin, diese in der Zeit des Wahlkampfs mit dem neuen Vizekanzler, die Streitereien innerhalb der Ampelkoalition und so weiter und so fort. Wenn jemand dort auf seinem Pfund Fleisch bzw. seinem Pfund Tofu besteht, provoziert das natürlich Streit über sämtliche Standesdünkel und politische Richtungen hinweg. Lassen wir das mit dem unappetitlichen und eitlen Streit von Regierungen. Sie sind die Aufregung nicht wert. Für unsere ach so moderne Zeit, eine Zeit der immer schneller drehenden Geschwindigkeit, würde unser Thema ansonsten zum Inhalt einer Komödie oder Farce, dafür ist das Thema aber zu wichtig.

In diesem Kapitel von Wa’era lesen wir, dass Moses das Volk nicht allein führen wollte. Zuerst wollte er überhaupt kein Führer sein und fing an, G’tt alle möglichen Gründe für seine Unfähigkeit zu nennen. Er entschuldigte sich mit seiner „schweren Stimme“ tatsächlich mochte er wohl einen Sprachfehler gehabt haben, wahrscheinlich stotterte er. Aber G´tt ließ alles nicht gelten. G´tt wußte genau, warum er Mosche auserwählt hatte. Schließlich nach allem Hin und Her sagte Mosche zu G´tt: „Sende irgendjemanden, aber nicht mich!“ G´tt hatte Verständnis für Moses Sturheit und bot ihm seinen Bruder Aaron als geistlichen Führer des jüdischen Volkes an. Außerdem war Aaron, der ältere Bruder von Moses, nicht nur sein wissenschaftlicher Assistent, er wurde auch vom Volk geliebt. Er war geduldig und verständnisvoll. Er versöhnte Brüder, Eltern und Kinder, Ehemänner und Ehefrauen. Moses war eher autoritär. Er war kein Berater, er war ein Legalist, der die Gesetze G´ttes durchsetzte. Er war kein Therapeut, er war Richter. Der Vorstandsvorsitzende einer Firma in USA oder Großbritannien heißt in der Übersetzung aus dem Englischen zum Beispiel Chief Executive Officer, also derjenige, der die Beschlüsse durchsetzt. Leider ist es derzeit ultramodern, Vorstandsvorsitzende deshalb CEO zu nennen. Eigentlich ist das ziemlich albern. Aber Moses war der einzige, der dazu berechtigt war, und er allein war für sein Volk verantwortlich.

Aber zurück zu Moses und Aaron. Und unseren „2 Rabbiner in einer Synagoge“. Moses personifizierte die Wahrheit. Aaron verkörperte eine friedliche Existenz. Versöhnung erfordert immer eine Art Kompromiß. Die Torah hält beide Seiten für wichtig. Daher führten beide Brüder den unterdrückten Sklaven zur Familie auf den Weg der Befreiung. Die Qualitäten und der Führungsstil von Moses wurden immer hinterfragt und immer kritisiert. Der Höhepunkt war der Aufstand Korachs und seiner Gefährten, der das Volk in Verwirrung zurückließ. Aaron, “der Liebe”, wurde kaum kritisiert, und wenn kritisiert, dann nur als Verwandter von Moses. Der Unterschied zwischen den Brüdern war auch nach ihrem Tod spürbar. Aarons Beerdigung wurde von viel mehr Menschen besucht als Moses Beerdigung. Aber erst nach Moses Tod war das Volk verzweifelt, denn nur Moses war in Wirklichkeit der Führer des jüdischen Volkes und sein Lehrer. Der Tod Aarons verursachte Trauer, der Tod des Moses öffnete einen Abgrund.

Wir müssen manchmal nette kleine Kerle sein, aber denken Sie daran, dass wir auch streng sein müssen. Das eine ist ohne das andere nicht möglich. Wenn wir Frieden (Waffenstillstand) über die Wahrheit stellen, besteht die Gefahr, dass beides in die Länge gezogen wird. Manchmal müssen wir kompromisslos sein, wenn es um Prinzipien geht. Die jüdische Geschichte ist keine Farce. Und dafür sollten wir dankbar sein.

Schabbat Schalom!

https://www.talmud.de/tlmd/die-torah-eine-deutsche-uebersetzung/die-torah-Waera/