Parascha Schelach-Lecha

Bildrechte: Achim Chajim Hecht

Von Chasan Martin Arieh Rudolph

Wann soll ich?

4. BM Bemidbar 13,1 – 15,41

Eine wirklich alte Geschichte erzählt von einem Bettler, der einen reichen Mann anschnorrte. Dieser gab ihm zwanzig Kopeken, damals noch etwas mehr wert als heute, obwohl der Rubel ja schon wieder gestiegen ist, aber der Grund ist politisch und wir reden nicht über Politik hier. Also: der Arme hat ein bißchen Geld bekommen und zieht glücklich von dannen. Ein paar Stunden später sieht der Reiche, wie der Bettler im örtlichen Restaurant Lachs mit Mayonnaise verspeist, damals ein Luxus-Essen. Zornig schimpft er: ,,Du hast doch gesagt, du brauchst Geld für deine Familie, und jetzt vertilgst du Lachs mit Mayonnaise! Wie kannst du es wagen!”

„Mein Herr“, erwiderte der Bettler ruhig, ,,ich verstehe Sie nicht. Als ich kein Geld hatte, konnte ich keinen Lachs mit Mayonnaise essen. Jetzt habe ich Geld, und Du sagst, ich darf keinen Lachs mit Mayonnaise essen. Wann soll ich denn nun Lachs mit Mayonnaise essen?“

Im Wochenabschnitt Schelach-Lecha stellen die Kinder Israel im Grunde die gleiche Frage. Sie haben vom Gelobten Land gehört und sogar Kundschafter nach Kanaan geschickt. Weil 10 von 12 Kundschaftern jedoch absichtlich einen falschen Bericht abgaben, musste das ganze Volk vierzig Jahre lang durch die Wüste wandern, bis die Generation, die sich gegen G´tt auflehnte, gestorben war: Nur ihre schuldlosen Kinder und Enkel durften Milch und Honig in Kanaan genießen.

Darum jammerten sie und zerrissen ihre Kleider und wollten nach Ägypten in die Knechtschaft zurückkehren. Es ist zwar nicht überliefert, aber sie könnten durchaus gefragt haben: „Als wir in Ägypten waren, hatten wir keine Freiheit. Jetzt sind wir aus Ägypten geflohen, dürfen unsere Freiheit aber nicht genießen. Wann sollen wir denn nun frei und fröhlich sein?“

Auch Sie sind frei. Frei wovon? Das hängt davon ab, was Sie tun wollen. Meist wollen Sie die Mizwot missachten (entschuldigen Sie diese kühne Behauptung). Sie wollen Freizeit, Bequemlichkeit und Spaß haben, sich selbst verwöhnen. Eben Lachs mit Mayonnaise essen. Das alles geht auf Kosten Ihrer Pflichten, der Gebote der Torah.

Wann also dürfen Sie frei sein? Jederzeit! Der Glaube an den freien Willen gehört zum Kern des Judentums. In Schelach-Lecha sagt G´tt:

„Wie lange soll ich dieses sündige Volk, das mir ständig widerspricht, noch ertragen?“

Es eine Gunst und eine Auszeichnung, dass G´tt uns nicht zwingt, anders zu werden (was er natürlich könnte). Stattdessen beklagt er unsere Sturheit und Selbstsucht. Und das nicht nur einmal. Das jüdische Volk hat eben “kischinu oref”, einen harten Nacken, wie eines unserer Gebete zu Jom Kippur beweist. Lange dauert es nicht mehr bis Jom Kippur.

Sie können tun, was immer Sie wollen. Aber ist es auch immer sinnvoll, was Sie tun wollen? Milch und Honig sind für Sie da, wie versprochen.

Doch Sie sollten vielleicht nicht gerade dann  Lachs mit Mayonnaise essen wollen, während Ihre Familie – ihre größere jüdische Familie – nach Mitzwot hungert. Was bedeutet es, Mitzwot zu erfüllen? So wichtig Talmud Torah ist, ist es mindestens ebenso wichtig, sich im Studium nicht in sich zu vergraben. Talmud Torah ist nicht Selbstzweck, dem man im eigenen Kämmerlein nachgeht.

Mitzwot erfüllen bedeutet, sich auf seinen Nächsten hin zu bewegen, sei es auf der Straße, sei es in der Synagoge. Sich als einen Bruder in der Not zu erweisen. Kein Laschon hara zu verüben. Vielmehr Menschlichkeit Rechtschaffenheit in die Welt zu tragen. Denn rechtschaffene Menschen sind mit einem Baum vergleichbar; sie gehen unter die Menschen und bringen Früchte, also gute Taten hervor. So wie der Baum einen schützenden Schatten auf seine Umgebung wirft, bemüht sich der Rechtschaffene, seine Umgebung positiv zu beeinflussen.

Wollen Sie jetzt noch Lachs mit Mayonnaise essen?

Schabbat Schalom!

https://www.talmud.de/tlmd/die-torah-eine-deutsche-uebersetzung/die-torah-Schlach-Lecha/