Für den 9. Juli 2025 erging an unsere Israelitische Kultusgemeinde Bamberg die Einladung zu einer besonderen Veranstaltung.
Der Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, für Erinnerungsarbeit und geschichtliches Erbe, Dr. Ludwig Spaenle, lud zu einer Podiumsdiskussion ein mit dem Thema:
„WIE SICHER IST JÜDISCHES LEBEN IN BAYERN? ANTISEMITISMUSBEKÄMPFUNG DURCH DIE SICHERHEITSBEHÖRDEN“
Die Veranstaltung fand in der großen Aula der Ludwig-Maximilian-Universität-München
(LMU) statt. Diese gilt als älteste Hochschule Bayerns und blickt auf eine 550-jährige Geschichte zurück.
Als Vetretung unserer Gemeinde machte ich mich also am 9. Juli auf den Weg nach München und erreichte gegen 17:30 die LMU am Geschwister-Scholl-Platz 1.

(© VNO/IKG Bamberg)

Dieser Platz bewegt mich immer wieder aufs Neue zutiefst. Denn hier wirkten einst Sophie und Hans Scholl mit fünf weiteren Mitstreitern im Widerstand gegen das grausame Nazi Regime.

Beim Betreten der Eingangshalle dieses geschichtsträchtigen Gebäudes überläuft mich stets ein unheimlicher Schauer. Ich spüre im wahrsten Sinne dort die Anwesenheit dieser mutigen jungen Leute… sehe mit geschlossenen Augen ihre Flugblätter von den Galerien ringsum herunter schweben… kann mich einfühlen in ihre Schockstarre …als sie an diesem verhängnisvollen 18. Februar 1943 vom damaligen Hausmeister abgefangen und ihren späteren Henkern ausgeliefert wurden… Hier ist ein Ort, der auf ewig mit diesen couragierten, freiheitsliebenden jungen Menschen verbunden sein wird und der uns allen für immer als Mahnmal dient.

Seit 1945 findet deshalb hier jährlich im Februar eine Gedächtnisvorlesung statt… seit Juni 1997 gibt es in diesen Räumen eine Dauerausstellung… seit Februar 2017 einen Zentralen Erinnerungsort: DIE WEISSE ROSE – WIDERSTAND GEGEN DIE NS-DIKTATUR.

Poster der Dauerausstellung DIE WEISSE ROSE – WIDERSTAND GEGEN DIE NS-DIKTATUR.
Dennoch war es möglich, dass gerade in jüngster Zeit an diesem Platz eine bei der Stadt angemeldete Pro-Palästina-Demo und ein entsprechender Vortrag stattfinden sollte, ohne dass die LMU vorher davon involviert wurde.
Es ist dem umanen Geist der LMU und ihrer Verantwortlichen Leitung zu verdanken, dass dies noch rechtzeitig verhindert werden konnte. Man legte mit Erfolg bei der Stadt München ein Veto ein.
Im November 2023 mahnte der Präsident der Hochschul-Rektoren Konferenz (HRK), Prof. Dr. Walter Rosenthal, bei der 37. Mitgliederversammlung in Berlin: „Hochschulen müssen Orte sein, an denen sich Jüdinnen und Juden ohne wenn und aber sicher fühlen“. Universitäten seien Stätten demokratischer und nationaler Kultur und Vielfalt… Orte des Dialogs… Räume des friedvollen Diskurses Gewalt, Bedrohung, Nötigung, Belästigung, Diskriminierung jeglicher Art hätten hier keinen Platz! … (sinngemäß aus der Pressemitteilung vom 15. November 2023 zur 37. Mitgliederversammlung der HRK in Berlin).
Am 9. Juli 2025 betrat ich also zum ersten Mal die große Aula dieser altehrwürdigen Universität… und war überwältigt von Schönheit und Ausmaß.

Auch diese kann uns viel erzählen. Sie überstand als einziger großer Saal Münchens die BombenAngriffe und wurde deshalb ab 1945 nicht nur als Konzertsaal genutzt, sondern als Ort erwählt, an dem die Verfassungsgebende Versammlung tagte, welche die Bayerische Landesverfassung 1946 verabschiedete und wo auch die erste Landesregierung vereidigt wurde. Der Saal füllte sich allmählich, die Kameras positionierten sich, da die Veranstaltung vom Bayerischen Rundfunk aufgezeichnet werden sollte.
Zunächst begrüßte Prof. Dr. h.c. Bernd Huber, Präsident der LMU München, alle Anwesenden und einige prominente Gäste u.a. Charlotte Knobloch, Präsidentin der IKG München/Oberbayern; Jo-Achim Hamburger, Vorsitzender der Jüdischen Einheitsgemeinde IKG Nürnberg; Wenzel Michalski, der neue Geschäftsführer des Freundeskreises Yad Vashem Berlin. Michalskis Vorstellung hinsichtlich seiner Aufgabe klingen vielversprechend… In einem Profil der Jüdischen Allgemeinen steht, dass es sein Ziel sei, durch Edukationsprogramme auch Polizisten/Lehrer/Juristen weiter fortzubilden… Bildungsinitiativen weltweit zu organisieren…. in Zusammenarbeit mit Yad Vashem-Jerusalem die dortige wertvolle Arbeit an Forschung/Sammlungen etc. noch mehr im öffentlichen Bewusstsein zu verankern und weithin sichtbar zu machen. Auch sei es Michalskis Anliegen, sich in Debatten über Antisemitismus/Holocaustverleugner etc. einzumischen und insgesamt noch größere mediale Präsenz zu erzielen und neue Wege der Erinnerungskultur zu finden.
Dr. Ludwig Spaenle, Antisemitismus-Beauftragter der Bayerischen Staatsregierung, sprach zunächst einführende Worte zum Thema der Podiums-Diskussion. Er rief folgende erschütternde Sätze in den Saal: “IN DEUTSCHLAND WERDEN WIEDER JUDEN VERFOLGT!”
Sogleich ging er auf das zunehmend antisemitisch-antizionistische Klima seit dem 7. Oktober 2023 ein und beklagte in beeindruckender Deutlichkeit, dass man hierzulande durch eine „Freisetzung der Explosion von Judenhass sehr schnell vergessen habe, wer der Verursacher dieser Gewaltorgie sei“. Es sei daher höchste Zeit, „die Welle dieser scheinbaren Gerechtigkeit zu brechen“.
Anschließend stellte er die Teilnehmer der Podiums-Diskussionsrunde vor: Steven Guttmann, Geschäftsführer der IKG München/Oberbayern; Judith Faessler, Antisemitismusbeauftragte des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz; Michael Weinzierl, Beauftragter der Polizei gegen Hasskriminalität, insbesondere Antisemitismus; Andreas Frank, Zentraler Antisemitismusbeauftragter der Bayerischen Justiz; Claus Singer, Journalist, Filmemacher und Moderator der anschließenden Podiums-Diskussionsrunde.
CLAUS SINGER stellte nacheinander mehrere prisante Fragen zum Thema an die Runde…. so in etwa:
1….. wie jeder die Situation seit dem 7. Oktober 2023 persönlich erlebe
2….. welche Auswirkungen heute spürbar seien
3….. was man gegen den Antisemitismus bisher getan habe
4…. was verbessert werden sollte
5….. abschließendes Schlusswort aller Podiumsdiskussions-Teilnehmer
JUDITH FAESSLER
beklagte den deutlich zunehmenden Antisemitismus samt entsprechender Straftaten,seit Oktober 2023. Diese Bestrebungen kämen aus vielfältigen Bereichen und seien zum Teil staatlich gelenkt (z.B. beauftrage der Iran oft Agenten in diese Richtung).
Die Täter seien großteils unbekannt. Und es sei oft schwer, ihnen Schuld nachzuweisen…. z.B. wäre der Hitlergruss eine Straftat. Selbst wenn kein Urteil gefällt würde, stünden die Täter fortan unter Beobachtung… es würde insgesamt aufmerksamer hingesehen… intensiver recherchiert mit Hilfe entsprechender Fragekataloge.
Im Vergleich zu anderen Bundesländern schneide Bayern in der Antisemitismus-Bekämpfung jedoch nicht zu schlecht ab. Man habe das Gesamtproblem erkannt, aber es sei noch vieles zu tun. Grundsätzlich gelte, dass der Antisemitismus eine große Gefahr für die Demokratie s
Polizei und Verfassungsschutz sollten noch besser zusammenarbeiten, auch mehr an die Öffentlichkeit gehen und diese mit einbeziehen. Denn Bestrebungen gegen die Grundrechte von Menschen seien immer ein Angriff auf die gesamte Gesellschaft!
MICHAEL WEINZIERL
sieht das „Hoch“ an antisemitischeb Straftaten zu allen Zeiten als „zu hoch“.
Es sei höchst bedrohlich, wenn sich Betroffene in private Sicherheitszonen zurückziehen müssen, um sich zu schützen.
Straftaten von Volksverhetzung wie Drohungen, Beleidigungen, Körperverletzung etc. nähmen weiter zu… Großstädte wie Berlin seien besonders gefährdet… NO GO Areale werden ausgerufen… Jüdische Mitbürger „zum Schutz ausgeschlossen“… Wo steht die Gesellschaft? Wo ist die Grenze?
Das Schaffen eines demokratischen Settings muss weiter ausgebaut werden… Verfassungstreue sollte geschult/gewährleistet sein z.B. mit entsprechenden Workshops und Einstellungskreterien für Beschäftigte.
Bedrohte und Betroffene von Antisemitismus und antisemitischen Straftaten haben den berechtigten Wunsch, beschützt zu sein… und um diesen Schutz sollten sie sich nicht selbst kümmern müssen!
Sondern die Gesellschaft sollte dafür Sorge tragen und vor allem interkulturelle Begegnung als Geschenk/Bereicherung betrachten.
Vor allem müssten sich verschlossene Türen öffnen… durchs Aufeinander zugehen, das Aussprechen persönlicher Einladungen usw.
Es sollten mehr Impulse für regionale wie überregionale Projekte aufgegriffen und und in die Tat umgesetzt werden.
ANDREAS FRANK
sieht die Gesetzgebung hinsichtlich antisemitischer Straftaten als unzureichend, teilweise als veraltetes Stückwerk.
Der Spannungsbogen zwischen Meinungsfreiheit und Strafbarkeit sei zunehmend zu groß geworden…sogar Gebete hätten oftmals antisemitischen Inhalt… die Hemmschwelle sinke mehr und mehr.
Es sei inzwischen „erlaubt“, in Deutschland Antisemit zu sein und das auch offen zu äußern…
Tagtäglich sehe sich die Justiz im Kampf zwischen Äußerung und Auslegung. So sei es kein Wunder, dass sich nur 20 Prozent der Geschädigten zu einer Anzeige entschließen würden.
Deshalb sei es dringend erforderlich, auch in der Justiz Antisemitismusbeauftragte einzusetzen… wieder eine Vertrauensbasis zu schaffen… mit Verbänden zu kooperieren (z.B. Fussball etc.).
STEVEN GUTTMANN
Zeigte sich sehr betroffen und meinte, dass er manchmal kurz davor sei, zu resignieren. Sicher sei nur noch der Unsichtbare, seine Identität verbergende. Man könne als jüdischer Mensch in der Öffentlichkeit kaum noch hochgehobenen Hauptes und gefahrlos Zeichen des Glaubens tragen, wie z.B. Kippa oder Magen David…. fühle sich oft identitätslos. Ebenso sei das Gemeindeleben mehr und mehr beeinträchtigt… Pro-Palästina-Demos fänden z.B. vorwiegend am Samstagvormittag statt… also am Heiligen Shabbat… und Gemeindemitglieder seien gezwungen, auf dem Weg zum/vom G’ttesdienst an Demonstrierenden samt ihrer Hassparolen vorbeizulaufen. Viele würden deshalb aus Angst nicht mehr zum gemeinsamen Gebet kommen. Dazu sehe er zunehmend eine Gefährdung jüdischer Menschen an Schulen, Universitäten, Kitas, jüdischen Restaurants, im öffentlichen Verkehr/Bahnhöfen etc.
Jüdische Einrichtungen seien schon seit langem und immer mehr auf den Einsatz von Polizeischutz angewiesen… zunehmend müssten die Israelitischen Gemeinden auch Eigenbeiträge in Punkto Sicherheit leisten… wo sei die Grenze?
Projekte gegen Antisemitismus würden oft geplant, ohne die Betroffenen mit einzubeziehen oder anzuhören. Deshalb sollten diese im Hinblick auf Fragwürdigkeit überprüft werden… z.B. ob sie dem gemeinsamen Ziel überhaupt dienten? Es sei Aufgabe der Gesellschaft, jüdisches Leben zu schützen und zu fördern… also den Blick auf die andere Seite zu richten und so verschlossene Türen wieder zu öffnen.
Antisemitismus sei also ein Gesamtproblem und nicht nur eines von jüdischen Menschen. Dasselbe gelte für den Antizionismus. Antisemitismus und Anti-Israelismus dürfe nicht weiter in die Welt getragen werden!
Abschließend bedankte sich Dr. Ludwig Spaenle herzlich bei den Podiumsteilnehmern für die interessanten Diskussionsbeiträge, sowie bei allen Anwesenden fürs Zuhören und lud uns zum Austausch bei einem Stehempfang mit Brezeln und diversen Getränken ein.
Natürlich empfahl er uns vor allem das berühmte ‚Gebräu’ gemäß des bayerischen Reinheitsgebotes, mit den Worten: “A bayrisch Bier ist immer koscher!”
N.V.O. (IKG Bamberg)