Exodus/Schmot 13,17–17,16
Himmlische Nahrung
Und G-tt sprach zu Mosche: Siehe, Ich bin schon im Begriff, euch Brot vom Himmel regnen zu lassen; das Volk soll hinausgehen und täglich das Tägliche sammeln, damit Ich es erprobe, ob es in Meiner Lehre gehen wird oder nicht.
(Schmot 16, 4)
Worin bestand die Prüfung, welcher das Volk sich unterziehen sollte? Raschi verweist auf zwei Auflagen, die mit dem Verzehr des Manna verbunden waren:
Mosche sprach zu ihnen: Keiner lasse davon bis zum Morgen übrig. Einige hörten aber nicht auf Mosche und ließen davon bis zum Morgen übrig. Da erhob es sich in Würmer und wurde faul, und Mosche zünde über sie.
(Schmot 16,19-20)
Die Vorschrift, keine Vorräte an “himmlische” Nahrung anzulegen, sollte das Vertrauen des Volkes in G-tt stärken, die Überzeugung in ihm wachsen und festwerden lassen, dass Er allein es in Seiner Hand hatte, die tagtäglichen Bedürfnisse der Menschen zu stillen. Die Zurückhaltung, die hier dem Volk abverlangt wurde, war keine leichte Sache. Bemerkt doch der Talmud, dass man denjenigen, der ein Stück Brot in seiner Tasche hat, nicht mit dem vergleichen kann, dem dieses Stück Brot fehlt (Joma 18b). Unsere Natur ist so angelegt, dass wir glauben für alles Vorsorge treffen zu müssen. Wir leben mit einer ersten, zweiten und dritten Säule (= Versicherung) und geraten leicht in Versuchung, unseren Schöpfer zu vergessen, die Quelle unseres Wohlergehens und unserer materiellen Sicherheit.
Unsere Weisen haben dies, für unsere Ohren zugegebenermaßen vielleicht etwas scharf, formuliert:
Rabbi Elieser Hamodai sagte: Wer heute zu essen hat und die Frage stellt, was werde ich morgen essen, dem fehlt es an Glauben.
(Joma 76a)
Die zweite Prüfung sieht Raschi in dem Verbot, am Schabbat nach dem Manna Ausschau zu halten:
Sechs Tage sollt ihr es einsammeln, und am siebten Tag ist Schabbat, an dem es nicht vorhanden ist. Gleichwohl waren am siebten Tag Leute vom Volk hinausgegangen zu sammeln, sie fanden aber nichts.
(Schmot 16, 26-27)
Sie fanden nichts, weil die G-ttliche Fürsorge am sechsten Tag wie versprochen für jedermann eine doppelte Ration bereithielt (Schmot 16, 22). Hier nimmt die Tora ein Grundprinzip für die Heiligung des Schabbat vorweg. So wie den Bne Jisrael in der Wüste das Manna während sechs Tagen gleichsam in den Schoss fiel, ohne eigene Anstrengung, so wurde in der Gesetzgebung am Sinai endgültig der Broterwerb auf sechs Tage beschränkt und der Schabbat als heilig erklärt. Gerade in der Diaspora fällt der Verzicht auf einen weiteren Arbeitstag manchmal schwer, nicht unbedingt weil das Streben nach mehr Gewinn im Vordergrund steht, sondern weil der nichtjüdische Arbeitgeber oft kein Verständnis für den jüdischen Mitbürger und seinen gelebten Glauben aufbringt. Doch hier hat die Forderung der Tora unbedingte Priorität. Hier dürfen wir uns auf die Fürsorge G-ttes Seinem Volk gegenüber verlassen, so wie unsere Weisen es formuliert haben:
Derjenige, der das Leben gibt, gibt auch die Parnassa, den Lebensunterhalt.
(Ta’anit 8b)
Aber ganz so leicht wollte es die Tora dem Volk in der Wüste auch nicht machen:
So sammelten sie es jeden Morgen, jeder nach Bedürfnis seiner Nahrung. Und wurde die Sonne heiss, so schmolz es.
(Schmot 16, 21)
Mit anderen Worten – die Langschläfer kamen zu spät! Ein Minimum an Einsatz und Eifer wurde selbst bei “himmlischer Verpflegung” gefordert!
Chiskuni sieht mit der G-ttlichen Gabe des Manna eine weitere Prüfung verbunden. Wenn das Volk schon der Sorge um die tägliche Nahrung enthoben war, was sollte es dann mit seiner “Freizeit” anfangen? “Damit Ich es erprobe, ob es in Meiner Lehre gehen wird oder nicht” (Schmot 16, 4). Die vierzigjährige Wüstenwanderung diente auch dem Studium der Tora, der Aufnahme der G-ttlichen Lehre und der intensiven Beschäftigung mit ihr. Zum Müssiggang sollte niemand erzogen werden…
Am Sederabend lesen wir in der Haggada im Loblied Dajenu: “Hätte er uns mit dem Manna gespeist, aber uns nicht den Schabbat geschenkt – genug der Gnade wärs für uns gewesen.” Damit kommt zum Ausdruck, dass das Manna die physische, der Schabbat jedoch die geistige Nahrung war. Bis heute ist der Schabbat dies geblieben – der Tag der Besinnung, der Tag des Zusichfindens, der Tag, an dem der Jude in Harmonie zu seiner Umwelt und zu G-tt zurückfinden kann.
Schabbat Schalom!
https://www.talmud.de/tlmd/die-torah-eine-deutsche-uebersetzung/die-torah-beschallach/