2. BM Schemot 27:20-30:10
Am Ende des Abschnitts Tezawe wird berichtet, dass Mose von Gott den Auftrag zur Errichtung eines Altars für Räucherwerk (Ketorät) erhält.
Und Aaron soll darauf verbrennen gutes Räucherwerk jeden Morgen, wenn er die Lampen zurichtet. Desgleichen wenn er die Lampen anzündet gegen Abend, soll er solches Räucherwerk auch verbrennen. Das soll das tägliche Räucheropfer sein vor dem HERRN bei euren Nachkommen.
2. Mose 30, 7 – 8
Auf der Grundlage dieser göttlichen Weisung findet das Weihrauchopfer seine Erwähnung im täglichen Morgen- (Schacharit) – und Nachmittagsgebet (Mincha), den wichtigsten Tagesgebeten. Auch im Buch Sohar, im Abschnitt Waykhell wird die Wichtigkeit des Ketorätgebetes betont.
Nun standen in der Stiftshütte zwei Altäre in Gebrauch. Auf dem kupfernen wurden alle Opfer dargebracht, außer den Räucheropfern, die auf dem goldenen Altar vollzogen wurden. Im Kommentar Kli-Yakar lesen wir, dass diese zwei Altäre einander ergänzten und keiner ohne den anderen vollkommen war.
Wie kam es zu dieser Vorstellung und warum gibt es diese zwei Altäre?
Stellen wir uns den Menschen vor. Er besteht aus einer Einheit von Körper und Seele. Er weist eine materielle und eine spirituelle Seite auf.
Wenn der Mensch sündigt, brauchen Körper und Seele Versöhnung. Beide sind aus dem Gleichgewicht geraten und in Mitleidenschaft gezogen. Ein Sühneopfer wird notwendig. Um der immateriellen wie materiellen Seite gerecht zu werden, hat Gott entsprechend befohlen, zwei Altäre zu bauen: den kupfernen für die Entsühnung des leiblichen und der goldene Altar für die Entsühnung des seelischen Menschen.
Auf dem kupfernen Altar wurden Tiere geopfert. Zwischen Mensch und Tier finden sich ähnliche Züge, Gemeinsamkeiten. Der genetische Bestand und Aufbau ist ähnlich, die Konstruktion des Körpers beider Gattungen ist vergleichbar und auch der Mensch wird von Trieben und Instinkten geleitet.
Diese Verwandtschaft legt es nahe, Tiere stellvertretend für den zu entsühnenden materiellen Teil des Menschen zu opfern. Aber damit wäre dem Menschen erst zur Hälfte gedient, denn auch seine Seele stellt eine Realität dar. Diese aber findet keine Entsprechung im Tier. Deshalb hat Gott befohlen, einen Räucheraltar zu errichten. Der von ihm aufsteigende Geruch leistet die Entsühnung für die Seele.
Wieviel Sinne (Tast-, Seh-, Geschmacksinn …) dem Menschen auch immer zugeschrieben werden – der Geruchssinn weist eine besondere Affinität zum Spirituellen auf. Man kann es sich so vorstellen: Wie der Weihrauch bei der Opfergabe aufsteigt, so steigt durch ihn materialisiert die Neschama (Seele) wieder zu Gott im Himmel auf, die sich vorher durch Sünde von ihm getrennt und entfernt hatte.
Eine weitere interessante Beobachtung zur Charakterisierung des Geruchssinns und seinem Vorzug gegenüber allen anderen Sinnen des Menschen machen wir im Buch Bne’Yissachar. Dort heißt es im Artikel über den Monat Adar: Als der erste Mensch sündigte, wurden vier seiner Sinne in ihrer Funktionstüchtigkeit wesentlich beeinträchtigt.
Dazu gehört das Sehen, das von Eva missbraucht wurde, wenn es in 1. Mose 3,6 heißt:
Und die Frau sah, dass von dem Baum gut zu essen wäre und dass er eine Lust für die Augen wäre und verlockend, weil er klug machte.
Ebenso ist der Tastsinn in Mitleidenschaft gezogen worden, indem Eva von der verbotenen Frucht nahm. Der Geschmackssinn kam zu schaden, weil sie von der Frucht aß. Und das Hören, das zum Gehorsam auf Gottes Stimme und seiner Gebote dienen sollte, wurde durch Adams Ungehorsam verdorben:
Und zum Mann sprach der Ewige: Weil du gehorcht hast der Stimme deiner Frau und gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot und sprach: Du sollst nicht davon essen.
So sehr die genannte Sinne versehrt sind – der Geruchssinn wurde durch die Sünde des Menschen nicht geschädigt. Ihm kommt die Eigenschaft zu, als spirituelle Brücke zwischen Gott und Mensch zu fungieren. Vor diesem Hintergrund verstehen wir auch, warum wir bei der Hawadala zum Schabbatausgang unsere Neschama Yetera (Ersatzseele) mit wohlriechenden Gewürzen verabschieden und zu Gott zurückkehren lassen.
Der Kli Yakar weist darauf hin, dass die Tora auch die Zeiten erwähnt, zu denen man auf dem goldenen Altar opferte:
Und Aaron soll darauf verbrennen gutes Räucherwerk jeden Morgen, wenn er die Lampen zurichtet. Desgleichen wenn er die Lampen anzündet gegen Abend, soll er solches Räucherwerk auch verbrennen.
2. Mose 30, 7 – 8
Diese Ausführungen stellen einen Zusammenhang zwischen dem Rauchopfer und dem Anzünden der Menoralichter bzw. der Reinigung des Leuchters her. Am Abend wurden die Lichter der Menora angezündet und brannten durch die ganze Nacht hindurch. Am Morgen mussten sie vom Ruß gereinigt werden.
Parallel zum Entzünden der Menoralichter am Abend und zu ihrer Reinigung am Morgen soll jeweils das Rauchopfer dargebracht werden. In Mischle 20, 27 heißt es: „Eine Leuchte des HERRN ist des Menschen Geist.“
Auch der Mensch hat seine Zeit, dass das Licht seines Geistes angezündet wird. Es geschieht am Morgen, wenn das Leben wieder in ihn zurückkehrt und er durch den Schlaf ertüchtigt ist. Gegen Abend verliert die Leuchte seines Geistes an Strahlkraft, die Seele verlischt im Schlaf.
Und wenn Aaron die Kerzen der Menora am Abend anzündete, war diese Handlung der Hinweis darauf, dass die Seele an ihren ursprünglichen Ort – zu Gott ihrem Schöpfer – rein zurückkehrt, begleitet von einem entsühnenden Rauchopfer.
Am frühen Morgen, beim Erwachen vom Nachtschlaf ist es unsere Pflicht, unsere Lebenskerze, die Seele im Schacharitgebet Gott zu weihen, ihn durch unsere Gebete wie durch ein liebliches Rauchopfer zu erfreuen. Von daher ist der Abschnitt über die Ketorät ein wichtiger Bestandteil des Schacharitgebets.
Schabbat Schalom!
https://www.talmud.de/tlmd/die-torah-eine-deutsche-uebersetzung/die-torah-Tetzawe/