Parascha Schemot

Moses and the Burning Bush (Richard Simon, 2004). Bildquelle: Wikimedia

2. BM Schemot 1:1-6:1

Ich werde sein!

Lassen Sie mich den Wochenabschnitt Schmot ganz kurz zusammenfassen: Mosche erlebt seinen dramatischen ersten Auftritt auf der biblischen Bühne. Er versucht, die Verfolgung seiner Brüder und Schwestern zu beenden, wird zum Tode verurteilt und muss nach Midjan fliehen, wo er Zippora heiratet und die Herden seines Schwiegervaters Jitro hütet. Dann empfängt er am brennenden Busch seine erste g´ttliche Offenbarung. G´tt befiehlt dem Hirten, nach Ägypten zurückzukehren und sein Volk zu retten. Er soll dem Pharao gegenübertreten und ihm die berühmte und bewegende Botschaft G-ttes verkünden: „Lass mein Volk ziehen!“

Wegen seiner Bescheidenheit ist Mosche ein sehr zögernder Mann. Er scheint nach allen möglichen Gründen zu suchen, warum er der Aufgabe unwürdig sei. Einmal fragt er G´tt: „Wer, soll ich sagen, hat mich geschickt? Wie ist dein Name?“

Wir kennen viele Namen für G´tt, aber der Eine G´tt nennt Mosche einen rätselhaften, mysteriösen und mystischen Namen: ,,Ich werde sein, der ich sein werde.“ Ein seltsamer Name für den Allmächtigen.

Viele Kommentare versuchen, diesen höchst ungewöhnlichen Namen zu deuten. Das Folgende ist eine sehr überzeugende Interpretation: Das Bedeutsame an diesem Namen ist seine Zukunftsform: „Ich werde sein, der ich sein werde.“ Mosche wollte nicht einfach wissen, wie G´tt heißt. Nein, er wollte einen tieferen Sinn in seinem Namen: Wie soll ich dich identifizieren, kennen, verstehen? Moment mal: Wie kann ein endlicher, sterblicher Mensch das unendliche Wesen kennen wollen?

G´ttes Antwort lautet: „Ich werde sein, der ich sein werde“, nicht: ich bin, der ich bin in der Gegenwart, sondern explizit in der Zukunftsform. Was bedeutet das? Das bedeutet, dass wenn wir glauben, G´tt zu kennen, wohl noch ein bisschen warten zu müssen. Wir können G´tt nicht unbedingt anhand vergangener Ereignisse verstehen, nicht einmal anhand der Gegenwart. Im Hier und Jetzt, wenn wir dem Leben und seinen Zweideutigkeiten ins Gesicht schauen, müssen wir erfahren, wie enorm schwierig es ist, die Vision von G´tt und seinem gewaltigen, ewigen Plan zu begreifen.

Wir brauchen unendliche Geduld, um den unendlichen G´tt zu verstehen. Eines Tages, irgendwann in der Zukunft, wird er sich uns bekannt machen. Erst dann werden wir ihn und seine unergründlichen Wege wirklich kennen. „Ich werde sein, der ich sein werde.“

Wir alle stellen uns manchmal Mosches Frage. Warum gibt es Tragödien in der Welt? Warum müssen die Menschen so viel Leid und Schmerz ertragen? Wie viele Familien wurden in Israel buchstäblich und im übertragenen Sinne auseinander gerissen, weil der Kampf gegen unsere Feinde niemals endet, weil unsere Feinde uns nie in Ruhe lassen wollen? Wie viele Menschen, die wir aus unserer Gemeinde kennen, haben im Leben Tragödien durchgemacht? 

Wir lesen also, dass G´tt am Anfang der jüdischen Geschichte, als er zum ersten Mal zu Mosche sprach, ganz offen sagte: „Ich weiß, du willst mich und meine Wege verstehen. Aber du musst einsehen, dass das vorläufig unmöglich ist.“ 

Ich werde sein, der ich sein werde. Eines Tages wirst du mich kennen. Nicht heute oder morgen, aber irgendwann in der Zukunft wird alles einen Sinn ergeben, und du wirst es verstehen. Letztlich wird alles offenbart.

Bis dahin leben wir mit dem Glauben, mit Vertrauen, Hoffnung und viel Geduld. Wir sehen, wie das Schicksal sich entfaltet, und wir wissen nicht genau, was wir damit anfangen sollen. Und wir freuen uns voller Erwartung auf den Ehrfurcht gebietenden Tag, an dem wir den großen Namen G´ttes kennen und verstehen und mit unseren eigenen, fleischlichen Augen sehen werden, dass G´tt gut ist und seine Wege gerecht sind. Mögen wir es bald und noch in unseren Tagen erleben.

Schabbat Schalom!

https://www.talmud.de/tlmd/die-torah-eine-deutsche-uebersetzung/die-torah-Schemot/