Von Rabbiner Dr. S. Almekias-Siegl
Nicht das Ziel heiligt die Mittel, sondern der Weg heiligt das Ziel
2. BM 25:1-27:19
Der Abschnitt Teruma befasst sich mit dem Bau der Stiftshütte, dem klassischen Ort der Heiligung. Über ihre Errichtung heißt es:
Und der Ewige redete mit Mosche und sprach: Sag den Israeliten, dass sie für Mich eine Abgabe erheben. Nehmt sie von jedem, der sie freiwillig gibt
Buch Mose 25, 1–2
Wir fragen uns, warum muss die Stiftshütte mit Spenden von Menschen finanziert werden? Um dies besser zu verstehen, schauen wir 500 Jahre nach vorn, als König Schlomo den Tempel in Jerusalem bauen ließ. Es handelt sich um eine der ironischen Geschichten der Bibel. Schlomo war ein kluger Mann, und G-tt erfüllte seinen Wunsch, ihm Weisheit zu verleihen. So lebte das Volk Israel in wirtschaftlichem Wohlstand.
Der Tempelbau in Jerusalem unter der Ägide Schlomos wird in Zusammenhang mit dem Auszug aus Ägypten gesehen. So lesen wir in Melachim I, dem 1. Buch der Könige:
Im 480. Jahr nach dem Auszug Israels aus Ägypten, im vierten Jahr der Herrschaft Schlomos über Israel, wurde das Haus dem Ewigen gebaut
6,1
Das verbindende Element finden wir im 5. Buch Mose 12,9. Kurz bevor das Volk ins verheißene Land einzieht, teilt Mosche den Israeliten mit:
Denn ihr seid bisher noch nicht zur Ruhe und zu dem Besitz gekommen, den der Ewige, dein G-tt, dir geben wird.
Nach traditioneller Interpretation sehen wir in der Erwähnung der »Ruhe« eine Hindeutung auf Jerusalem, und mit dem »Besitz« ist der Tempel gemeint.
Am Ende jedoch wird Schlomo nicht als ein erfolgreicher König bewertet. Er hatte viele fremde Frauen geheiratet, was dazu führte, dass sich sein Herz dem Götzendienst zuneigte (Melachim I 11,4).
Wenn wir aufmerksam die Kapitel lesen, in denen davon berichtet wird, welche Maßnahmen er ergriff, um den Bau des Tempels zu organisieren, kommen wir zu einer kritischen Einschätzung seiner Person. Mit dem Projekt des Tempelbaus legte er dem Volk ein Joch auf, das nach seinem Tod zur Teilung des Königreichs führte.
Unter Schlomos Sohn Rehav’am fielen zehn Stämme von ihm ab und bildeten fortan das Nordreich Israel. Statt eines einzigen starken Königreiches standen nun den Nachbarvölkern zwei schwache miteinander verfeindete Staatengebilde gegenüber, die leicht einzunehmen waren. Wie konnte es in Schlomos wirtschaftlich blühendem Königreich dazu kommen, dass der Rebell Jarav’am Ben Nevat die zehn Stämme für sich gewann?
Nach Schlomos Tod erhoffte sich das Volk eine Minderung der Steuerlasten und fand in Jarav’am sein Sprachrohr. Dieser hatte bereits gegen Schlomo rebelliert und war nach Ägypten geflohen. Nach dem Tod des Königs kehrte er nach Jerusalem zurück und nahm sich der Enttäuschung und Verbitterung des Volkes über Rehav’am an. Die ehemaligen Berater Schlomos empfahlen dessen Sohn, auf die Forderungen des Volkes einzugehen. Dieser aber schlug ihren Rat in den Wind und erhöhte stattdessen die Lasten. Damit war über das Schicksal des Volkes entschieden.
Diese Geschichte offenbart uns etwas Seltsames, denn sie enthält zwei Begriffe aus früheren Erzählungen: »Awoda kascha« und »Nosse ssabal«.
»Awoda kascha«, harte Arbeit, erinnert daran, wie das Volk Israel über die Frondienste in Ägypten klagte (2. Buch Mose 6,9). Und »Nosse ssabal« (Melachim I 5,29) beschreibt die Lastenträger aus dem Volk Israel, die Schlomo im Libanon einsetzt. Der Begriff begegnet uns bereits im 2. Buch Mose, als Mosche seine Brüder bei der Sklavenarbeit aufsucht:
und er sah ihre Lasten
2,11
Wenig später erhält Mosche vom Ewigen den Auftrag:
Sag den Israeliten: Ich bin der Ewige und will euch wegführen von den Lasten, die euch die Ägypter auflegen
6,6
Es gibt eine Parallele in dem, wie Schlomo und wie der Pharao handelt: Der König baute Lagerhäuser (Melachim I 9,19) – nach dem Vorbild des Ägypters (2. Buch Mose 1,11).
Das Buch Könige vermeidet es, in direkter Sprache zu uns zu sprechen. Aber Schlomos Projekt, den Tempel zu bauen, hat das Volk als ein zweites Ägypten erlebt. König Schlomo war nahe daran, ein israelischer Pharao zu werden.
Man könnte lachen über die Ironie bei diesem dritten König Israels. Einerseits war er der klügste aller israelitischen Könige, unter seiner Regierung erlebte die Nation einen wirtschaftlichen Aufschwung wie nie zuvor, es herrschte weitestgehend Frieden, und Schlomo verfolgte ein heiliges Ziel: Er führte mit dem Bau des Tempels den Exodus des Volkes aus Ägypten zum Abschluss. Doch andererseits, in der Art und Weise, wie er dieses ehrgeizige Ziel verfolgte, führte er den Niedergang des geeinten Königreichs herbei.
Mit der Errichtung des Tempels hatte Schlomo den Exodus vollendet, aber – ironischerweise – das Volk wieder versklavt, indem er es zu Zwangsarbeitern am Bau der Wohnung seines Befreiers machte. Man möchte sagen:
Nicht das Ziel heiligt die Mittel, sondern der Weg heiligt das Ziel.
Von dieser verkehrten Ambition Schlomos fällt Licht auf die Mizwa zum Bau des Mischkan:
Sag den Israeliten, dass sie für Mich eine Abgabe erheben! Nehmt sie von jedem, der sie freiwillig gibt.
2. Buch Mose 25,2
Im Kontext von G-ttes Wort
Und sie sollen Mir ein Heiligtum machen, in dem Ich wohne in ihrer Mitte
25,8
wird ersichtlich: G-ttes Schechina wohnt nicht in der Stiftshütte, sondern im Volk Israel.
Es kommt darauf an, dass jeder Mensch in seinem Inneren, in seiner Mitte, einen heiligen Raum schafft, in dem die g-ttliche Gegenwart wohnen kann. G-tt wohnt nicht zuerst in einem Gebäude, sondern in den Menschen, die Ihn von ganzem Herzen und mit aller Kraft lieben.
Der Tempel soll das geografische Zentrum der Nation abbilden, einer Nation, die G-tt in die Freiheit und zum Frieden geführt hat. So wie die Stiftshütte, sollte der Tempel durch freiwillige Abgaben und den guten Willen der Kinder Israels gebaut werden.
Wenn aber die Wohnung G-ttes durch Zwangsarbeit erstellt wird, so widerspricht dies dem Willen des Ewigen. Er wünscht keinen erzwungenen G-ttesdienst.
Schabbat Schalom!
https://www.talmud.de/tlmd/die-torah-eine-deutsche-uebersetzung/die-torah-Trumah/