Parascha WaJikra

Bildquelle: Leviticus-Rolle in althebräischer Schrift, Wikimedia

Von Rabbiner Dr. S. Almekias-Siegl

Der Mittelweg

3. BM Wajikra 1:1-5:26

Jedes Speiseopfer, das ihr dem Ewigen darbringt, soll nicht aus Gesäuertem bereitet werden, denn jeder Sauerteig und aller Honig – davon sollt ihr kein Feueropfer dem Ewigen in Dampf aufgehen lassen

Wajikra 2, 11

Das Verbot des Sauerteigs im tagtäglichen Leben kennen wir von den Pessach-Gesetzen, wo während acht Tagen (in der Diaspora) sämtlicher Genuss von Gesäuertem verboten ist. Mit Honig ist hier nicht der Bienenhonig gemeint, sondern die Fruchtsüsse (Raschi), die man aus allen Baumfrüchten gewinnen kann. Warum sind diese zwei Gaben auf dem Altar nicht erwünscht?

Samson Raphael Hirsch versucht eine Erklärung dieser Mitzwa auf der nationalen Ebene zu geben. Das Verbot des Gesäuerten erläutert S.R. Hirsch, indem er auf die Symbolik des Gegensatzes, des ungesäuerten Brotes, der Mazza hinweist:

Mazza ist das Zeichen politischer Unselbständigkeit, jenes Zustandes, in welchem wir die freie Verfügung über unsere Zeit … eingebüsst haben. Es ist das Zeichen der “Awdut” (Knechtschaft), und dem gegenüber ist Gesäuertes und Chamez das Zeichen unabhängiger Selbstherrlichkeit. Mit jedem wiederkehrenden Gedächtnisfest der ägyptischen Befreiung verdrängt die Mazza das Gesäuerte und Chamez wieder aus unseren Räumen und frischt immer aufs neue die Tatsache in unserem Bewusstsein auf, dass wir die Freiheit und Selbständigkeit nicht aus uns, sondern rein nur als fortdauerndes Gnadengeschenk G-ttes in unseren Händen haben. Das Brot, das wir zum Zeichen der Huldigung auf G-ttes Altar bringen, hat immer nur Mazza zu sein.

Ähnlich wird das Verbot der Fruchtsüsse erklärt:

Fruchtsüsse ist dasjenige Produkt des Bodens, in welchem sich der Besitz des Bodens in seinem Wert für den Menschen ganz eigentlich ausdrückt. Baumfrüchte sind ganz geeignet, den Besitz des Bodens zu repräsentieren. Bodenbesitz ist aber eben das zweite Gut, das Israel ebensowenig wie die Freiheit und politische Selbständigkeit aus eigener Machtfülle und in eigener Machtfülle zusteht. Der Besitz des Landes ist für Israel ebenso wie seine politische Freiheit nur durch die Erfüllung des G-ttlichen Gesetzes zu gewinnen und zu sichern.

Nach S.R. Hirsch sollen Gesäuertes und Fruchtsüsses, politische Selbständigkeit und der Besitz von Erez Jisrael, uns immer als klares Geschenk G-ttes gegenwärtig sein. Beides erhielten und erhalten wir von G-tt, beides haben wir nicht aus eigener Kraft gewonnen, als dass wir es als unser Opfer darbringen könnten.

Ganz anders interpretiert Rabbi Menachem Mendel von Kotzk diese Vorschrift. Er bezieht sie ganz auf das Individuum, als ob G-tt dem Menschen zurufen würde:

Nicht zu sauer und nicht zu süss!

Wenn ein Mensch versucht, sich G-tt zu nähern, sei es durch Opfergaben, sei es durch die individuelle Gestaltung seines Lebens, so soll er von jeglichen Extremen Abstand nehmen. In der für ihn charakteristischen prägnanten Kürze fasst hier der Kotzker ein Thema zusammen, welchem der Rambam viel Platz einräumt.

Der gerade Weg ist das Mittelmass bei jeder der Eigenschaften, die der Mensch hat. Es ist die Eigenschaft, die von beiden Extremen genau gleich Abstand hat, sich weder dem einen noch dem andern annähert. Die alten Weisen haben uns daher anbefohlen, immer die Eigenschaften zu prüfen, sie genau auf das Mittelmass einzustellen, so dass wir gesund bleiben. Man sei in seinen Geschäften auch nur tätig, um das zu verdienen, was der Tagesgebrauch erfordert; so wie es heisst: ‘Für den Gerechten ist wenig (Besitz) das Gute’ (Ps. 37, 16). Man sei weder geizig noch verschwenderisch, sondern gebe seinem Vermögen entsprechend Almosen und gebe dem ein ausreichendes Darlehen, der es braucht. Man soll nicht ausgelassen und übermütig sein, aber auch nicht traurig und schwermütig, vielmehr froh, voll Ruhe und Freundlichkeit. So ist es mit allen Charaktereigenschaften. Ein derartiges Verhalten bezeichnet man als den Weg der Weisen. “Einen Menschen, bei dem alle Eigenschaften das Mittelmass haben und ausgeglichen sind, nennt man einen Weisen” (Mischne Tora, Hilchot Deot 1, 3 ff.).

Wir leben in einer Zeit, wo extreme Standpunkte oft eine beachtliche Anziehungskraft entwickeln, sei es in politischen oder gesellschaftlichen Fragen. Hier ermahnt uns die Tora, den für die Mehrheit akzeptablen Mittelweg zu suchen

Schabbat Schalom!

https://www.talmud.de/tlmd/die-torah-eine-deutsche-uebersetzung/die-torah-WaJikra/