Von Rabbiner Dr. S. Almekias-Siegl
Die Macht des Wortes
3. BM Tazria 12:1-13:59
Der grösste Teil der Parascha ist den Vorschriften über den Aussatz gewidmet, der Menschen sowie deren Kleider und Häuser befallen kann. Unsere Weisen haben sein Auftreten als Strafe für verschiedene Vergehen, vor allen für die Sünde der üblen Nachrede, Laschon Hara, gedeutet.
Rabbi Jisrael Lipkin Salanter, der Begründer und geistige Vater der modernen Mussar-Bewegung, sieht einen direkten Zusammenhang zwischen den Gesetzen über Reinheit und Unreinheit des Menschen und den Speisevorschriften in der vorangehenden Parascha. Während wir grösste Aufmerksamkeit den Dingen widmen, die wir als Lebensmittel zu uns nehmen, genau prüfen, ob sie koscher sind, schenken wir den Worten, die unseren Mund und unsere Lippen verlassen, kaum Beachtung. Aus der Sicht von Rabbi Jisrael Salanter eine bestürzende Tatsache.
Einen weiteren Zusammenhang zwischen den Wochenabschnitten Schmini und Tasria deckt der Midrasch Rabba auf (Waj. 14. 1). So wie im Schöpfungsbericht zuerst von den Tieren die Rede ist und dann vom Menschen, so folgen auf Gesetze über reine und unreine Tiere im Abschnitt Schmini jetzt die Reinheitsgebote für den Menschen:
Da bildete G-tt den Menschen, Staub von der Erde, und hauchte den Lebensodem, und so wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen
Waj. 2, 7
Der Ausdruck “lebendiges Wesen” wird vom Targum Orikelos in der aramäischen Sprache als “sprechendes Wesen” wiedergegeben. Die Sprache ist es, welche den Menschen im Gegensatz zur Tierwelt auszeichnet, ihm seine einzigartigen Fähigkeiten verleiht, ihm aber auch zum Verhängnis werden kann. Derselbe Midrasch hält fest, dass der Mensch bei Bewährung der gesamten Schöpfung vorangestellt ist. Er war und ist im g-ttlichen Bauplan Ziel und Höhepunkt. Versagt er jedoch, wird er den Ansprüchen, die G-tt an ihn richtet nicht gerecht, so bedeutet man ihm, dass das kleinste Insekt ihm während den sechs Tagen der Schöpfung vorausging. Alles hängt vom menschlichen Verhalten ab.
Tod und Leben sind in der Gewalt der Zunge
Mischle 18, 21
Die Zunge eines Menschen ist stärker als sein Schwert. Ein Schwert verletzt oder tötet einen Menschen nur in Reichweite, die Zunge kann auch jemandem in grosser Entfernung schaden, das einmal gesprochene Wort ist nicht zurückzuhalten und nimmt seinen Weg (Arachin 15b). An vielen Stellen fordert uns die Tora auf, sorgsam mit unseren Worten umzugehen:
Gehe nicht als “Rachil” in deines Volkes Kreisen
Waj. 19, 16
was Rabbiner S.R. Hirsch trefflich als “Neuigkeitskrämer” wiedergibt,
der von Mensch zu Mensch, von Haus zu Haus geht und bei dem einen von seinen Verhältnissen ausspäht, was er bei dem anderen als willkommene Mär an den Mann bringen kann … Keiner kann die Tragweite dessen beurteilen, was er über die Privatangelegenheiten des anderen äussert, und wo der Geist des Rechilut im Schwange ist, da löst dieses die Bande aller Vertraulichkeit und zwingt einen jeden, sich mit seinen Privatangelegenheiten ängstlich vor jedermann abzuschliessen. Hierher gehört auch die Pflicht der Diskretion hinsichtlich des innerhalb eines Kollegiums von den Mitgliedern desselben stattgehabten Meinungsaustausches. Wer auch nur sich auszusprechen erlaubt, er habe zugunsten eines Betreffenden gestimmt, sei aber gegen seine Kollegen in der Minorität geblieben, der übertritt dieses Verbot. Ein noch höherer Grad von “Rechilut” ist “Laschon Hara”, die Nachteiliges über Charakter und Handlungsweise des anderen mitteilt, selbst wenn es mit der Wahrheit übereinstimmt und zählt die Lehre der Weisen Laschon Hara zu den grössten und verderblichsten Verbrechen.
Am besten halten wir uns an die Maxime von König David, der uns in den Psalmen auffordert:
Bewahre deine Zunge vor Schlechtem und deine Lippen vor trügerischen Reden, halte dich fern von Schlechtem, und übe Gutes, suche den Frieden und verfolge ihn
Teh. 34, 14-15
Schabbat Schalom!
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