Behar-Bechukotaj (26. Ijar 5785/24.05.2025 – 3. Mose 21,1-27,34)

„Wenn ihr nach Meinen Gesetzen wandelt, und Meine Gebote beobachtet und sie tut … (3.Mose 26,3)“. Mit diesen Worten leitet der Abschnitt Bechutokaj seine Ausführungen zur grundlegenden Bedeutung des göttlichen Gesetzes ein.

Allgemein gesprochen versteht man unter einem Gesetz eine Regel, die entsprechende Resultate schafft, je nachdem, ob man sie befolgt oder nicht. Gesetze, die das Leben ermöglichen und regulieren, finden sich in der Natur und in der Seele des Menschen. Sie stabilisieren das Leben der Geschöpfe Gottes und sorgen für lebensfördernde Interaktionen zwischen ihnen und der ganzen Schöpfung.

So beschreiben es Verse aus Bechukotaj: Richtet sich der Mensch nach den Satzungen der Tora, „so werde Ich euch Regen geben zur rechten Zeit, dass die Erde gebe ihren Ertrag und der Baum des Feldes gebe seine Frucht. Und es wird reichen bei euch das Dreschen an die Lese und die Lese wird reichen an die Aussaat, und ihr werdet euer Brot essen zur Sättigung und werdet ruhig wohnen in eurem Lande. Und Ich werde Mich zu euch wenden und euch fruchtbar machen und euch vermehren und Meinen Bund mit euch halten.Ich will meine Wohnung unter euch haben und eurer nicht überdrüssig werden. Und Ich werde wandeln unter euch und werde euch ein Gott sein, und ihr sollt Mir ein Volk sein. Ich der Ewige euer Gott, der Ich euch geführt aus dem Lande Mizrajim, dass ihr ihnen nicht Knechte seid, und zerbrach die Riegel eures Joches und ließ euch aufrecht wandeln“ (3. Mose 26,4.5.9.11 -13).

Rabbi Jehuda Löw von Prag (1525 -1609), bekannt als der Maharal, erklärt: Wenn der Mensch nach Gottes Gesetz lebt, fügt er sich in die Ordnung der Realität ein. Die Welt bewegt sich in einer bestimmten Richtung. Wird diese vom Menschen wahr- und aufgenommen, integriert er sich in ihre Strömung, dann wird das Leben erblühen und Stabilität erfahren. Das gilt besonders für die Kinder Israel, wenn sie der Tora Gottes Beachtung schenken. Verhalten sie sich jedoch ungehorsam, spart unser Abschnitt nicht mit ausführlichen Beschreibungen, was ihnen an Strafen, Plagen und Gefahren droht. Am Ende ihrer Abwendung droht das Exil, steht die Existenz des Volkes auf dem Spiel und der Verlust der Gottesebenbildlichkeit des Menschen.

Bei Rabbiner Avraham Yitzchak HaCohen Kook (1865 – 1935) lesen wir Ausführungen über die Seele, die Götzendienst übt. Seiner Meinung nach hasst eine dem Götzdienst ergebene Seele die Gesetze der Tora. Der natürliche, auf sich selbst bauende Mensch tut nur, was ihm seine Seele spontan eingibt. Mit diesem Hang zur Abwendung von Gottes Gesetz hat jeder Mensch zu kämpfen. Dieser Art des bösen Triebs folgt der Mensch mit ausgeprägter Lust und dem Argument, dass er tief in seinem Wesen verwurzelt ist.

Zudem möchte der Mensch zum Unendlichen vordringen. Seine Seele ist ein Teil des Ewigen. Als solche lässt sie den Menschen nach Grenzenlosigkeit streben, von allen Gesetzen befreit, die sie einengen könnten. Das Kind und der Jugendliche versuchen ihren Willen unmittelbar auszuleben. Sie gehen davon aus, dass ihnen keine Grenzen gesetzt sind. Doch je älter der Mensch wird, lernt er, dass spontane Aktionen und Reaktionen nicht immer zum Besten dienen. Er macht die Erfahrung, dass die Beachtung von Regeln und Gesetze durchaus zu einer lebensfähigen, funktionierenden Gesellschaft beitragen.

Wobei Rabbiner Kook festhält: Der Widerstand, sich nach Forderungen von Gesetzen zu richten, formiert sich erfahrungsgemäß stark. Sie zu erfüllen, bringt der Mensch im Allgemeinen wenig Kraft auf.

Der Abschnitt Bekuchotaj lehrt uns in der Tat ein anderes Verständnis der Gesetze. Sie sind es, wenn sie denn befolgt werden, die die Welt zum Blühen und Gedeihen bringen. Die Welt existiert auf dem Fundament dieser Gesetze. Auch wenn wir auf den ersten Blick meinen, dass die Natur keine Ordnung habe. Beschäftigen wir uns aber eingehender mit ihr, erkennen wir ungeahnte Abhängigkeiten und Zusammenhänge, die uns von Naturgesetzen sprechen lassen. Sie garantieren eine aufeinander abgestimmte und funktionierende Ordnung der Schöpfung. Wäre die Welt ausschließlich von Götzendienst erfüllt, als ob es kein Gesetz und keinen Richter gäbe, würde sie zerstört werden. Die Natur existiert in einer Balance. Der Regen feuchtet die Erde. So ernährt sie Mensch und Tier. Und der Mensch entwickelt sich und die Welt in stetigen Fortschritt weiter.

Auf diesen Zusammenhang von Toragehorsam und ausbalancierter Welt- und Naturordnung weist uns tiefsinnig 3. Mose 26,6 hin: Wenn ihr in meinen Satzungen wandelt, „werde Ich Frieden geben in das Land, dass ihr schlaft und keiner euch aufschreckt, und werde wegschaffen wildes Getier aus dem Lande und das Schwert soll nicht durch euer Land gehen.“

Es ist ein Leichtes, immer wieder festzustellen: Die Welt wird nicht so geführt. Es gibt Länder, die schwere ethische Mängel aufweisen und sich trotzdem als erfolgreiche Nation präsentieren. Oft leidet der Gerechte, und dem Frevler geht es gut. Das Gute folgt nicht immer aus der Gerechtigkeit, und das Böse nicht aus dem Frevel.

Doch auf lange Sicht gesehen, wird das Gute und der Gehorsam gegen die Gesetze die Oberhand gewinnen. Wenn ein Volk sich auf Dauer nicht ethisch verhält, wird es früher oder später von der Bühne der Geschichte abtreten. Der gesellschaftliche Zusammenhalt wird bröckeln und sich am Ende auflösen. Diese Entwicklung betrifft alle Völker und vor allem das erwählte Volk Israel, dessen göttliche Vorschriften und Gesetze mit dem Ganzen des Kosmos in Verbindung stehen.

Der Abschnitt Bekuchotaj belehrt uns über die Prinzipien der Metahistorie und Kosmologie, wie sie mit unserer unmittelbaren Realität zusammenhängen. Es besteht eine Wechselwirkung zwischen Israels Gehorsam gegen Gottes Tora und der Stabilität des Kosmos. Die Tora ruft dazu auf, Gott mit Liebe zu dienen. Und das geschieht durch unser Verlangen, Seine Gesetze zu erfüllen. Die Gesetze der Natur erschaffen die Realität, und die Gesetze Gottes beleben und formen die Existenz des Menschen, der in dieser Realität lebt und durch sein ethisches Verhalten auf sie einwirkt.

Rabbiner Dr. S. Almekias-Siegl