Von Rabbiner Dr. S. Almekias-Siegl
Dreierlei Mazza
Im ersten (Monat), am vierzehnten Tag des Monats, am Abend, sollt ihr Mazzot essen; bis zum einundzwanzigsten Tag des Monats am Abend”
Schmot 12, 18
Am Schabbat und an den Chagim machen wir über zwei Challot den Segensspruch. Die zwei Brote erinnern an die doppelte Portion des Manna, die während der vierzigjährigen Wüstenwanderung am Freitag fiel und auch für die Verpflegung am Schabbat ausreichend war. Der Schabbat als Ruhetag war von der täglichen Nahrungsbeschaffung ausgenommen.
Am Sederabend liegen dagegen drei Mazzot vor uns. Warum? Eine der ersten Handlungen am Sederabend ist das Teilen der mittleren Mazza (“Jachaz”), wobei die grössere Hälfte als Afikoman aufbewahrt und nach der Festmahlzeit zum Schluss verzehrt wird. Mit dem Geschmack der Mazza auf der Zunge setzen wir den Vortrag aus der Haggada fort. Indem wir eine Mazza teilen, bringen wir symbolisch zum Ausdruck, dass es sich um “das arme Brot handelt, welches unsere Väter in Ägypten gegessen haben”. Ein Armer weiss nie, wann er die nächste Mahlzeit erhält, und so teilt er sich seine Nahrung in Portionen auf (Pessachim 116a).
Die Bracha (“Hamozi Lechem min Ha’arez”) muss jedoch über zwei ganze Chalot oder Mazzot gesprochen werden, daher legen wir eine dritte Mazza auf die Sederschüssel.
Die drei Mazzot beinhalten noch eine tiefere Botschaft für uns. Rabbiner Jakob Ettlinger weist in seinem Kommentar zur Haggada, “Minchat Ani”, darauf hin, dass wir drei historische Momente unterscheiden, an denen die Mazza gegessen wurde: noch in Ägypten, vor der Befreiung; in der Nacht vom vierzehnten auf den fünfzehnten Nissan, zusammen mit dem Bitterkraut und dem Pessachopfer (Schmot 12, 8); am Morgen des fünfzehnten Nissan, als in der Eile des Auszugs die Zeit zum Backen der normalen, gesäuerten Brote nicht ausreichte (Schmot 12, 34).
S.R. Hirsch nimmt ein Motiv der klassischen Kommentatoren wie Ibn Esra und Ramban auf, wenn er die Mazza als das eigentliche Sklavenbrot beschreibt:
Wie im Moment des Auszugs ihnen ihre Dränger nicht einmal Zeit zur Gärung ihres Brotes liessen und sie es daher ungesäuert als Mazza mit hinaus nehmen mussten, so liessen sie ihnen während des ganzen Sklavenzustandes nicht einmal Zeit zur Brotgärung, immer stand die Peitsche des Treibers und der atemlose Drang der überbordenden Arbeit hinter ihnen und gönnte ihnen nur die rascheste, eilfertigste Brotbereitung
Bei vielen sozialen Geboten der Tora wird als Begründung die Zeit der Versklavung in Ägypten angeführt (z.B. Schabbat, die Gleichbehandlung des Femden, die Entlohnung des Knechtes etc.), die Mazza ist somit das Symbol unserer sozialen Verantwortung und Verpflichtung.
Tatsächlich beginnen wir unseren Vortrag aus der Haggada mit der Einladung an die Bedürftigen,
jeder der hungrig ist, komme und esse …
Für was steht die Mazza, die zusammen mit dem Korban Pessach verzehrt wurde? Sie ist nicht mehr Symbol der Armut, der Abhängigkeit von Pharao, sie wird zum Symbol der freiwilligen Übernahme des himmlischen Jochs (“Ol Malchut Schamajim”), der Selbstbescheidung (flache Mazza!), zum Symbol,
dass das Joch des Menschen für immer von ihrem Nacken gebrochen war, in den Dienst der Menschen sollten sie nimmer wiederkehren – aber in den Dienst G-ttes sollten sie eingetreten sein, in diesem Dienst ihre Freiheit gefunden, für diesen Dienst ihre Freiheit gewonnen haben, und nur durch diesen Dienst ihre Freiheit ewig bewahren
S.R. Hirsch
Bleibt noch die Bedeutung der hastig gebackenen Mazza beim Auszug zu erklären. Der Talmud (Brachot 9a) diskutiert die Frage, wer es eigentlich eilig hatte. Jisrael oder die Ägypter? Eine Frage, die S.R. Hirsch so beantwortet:
Deine Dränger wurden von G-tt getrieben, du wurdest von deinen Drängern getrieben – und nur G-tt war allein der frei Handelnde an diesem einzigen Tag der Menschheitsgeschichte.
Der Midrasch zu Schir Haschirim (2, 8) gibt eine weitere Antwort – G-tt selbst hatte es eilig, denn hätte Er mit der Befreiung des jüdischen Volkes nur einen Augenblick länger gezögert, wären sie in der Welt der ägyptischen Vielgötterei und der Versklavung für immer versunken (vgl. Jecheskel 20, 7-8).
Es war die Rettung im letzten Moment und so steht die Mazza auch für die g-ttliche Hand und den g-ttlichen Schutz, der das jüdische Volk auf seinem Weg von Ägypten bis heute, bis zur Rückkehr in seine Heimat, Erez Jisrael, stets begleitet hat und begleitet!
Schabbat Schalom ve Chag Pessach Koscher ve Sameach!