Parascha Ki Tawo

To People Together. CC0 Public Domain, Bildquelle

Von Martin Arieh Rudolph

Die Jugend von heute

5. BM Dewarim 29:9 – 31:30

Kommt Ihnen das nicht bekannt vor? Ich schicke drei Zitate voraus und frage sie dann, von wann diese Zitate stammen könnten:

Unsere Jugend ist heruntergekommen und zuchtlos. Die jungen Leute hören nicht mehr auf ihre Eltern. Das Ende der Welt ist nahe.

Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität. Sie widersprechen ihren Eltern, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.

Ich habe überhaupt keine Hoffnung mehr in die Zukunft unseres Landes, wenn einmal unsere Jugend die Männer von morgen stellt. Unsere Jugend ist unerträglich, unverantwortlich und entsetzlich anzusehen.

Diese Klagen – sie könnten von Eltern und Erziehern von heute stammen und sie könnten die jungen Leute meinen, die glauben, sich für die Bewahrung des Klimas auf die Straßen oder an Gemälde in den Museen kleben zu müssen.

Nein, diese Zitate sind viel älter als wir uns das vorstellen können: Sie sind in Wahrheit bis zu 4000 Jahre alt. Der erste und älteste Text ist ein Keilschrifttext aus Ur um 2000 vor unserer Zeitrechnung. Der zweite und der dritte Text stammt von griechischen Philosophen, der erste von Sokrates (470-399 v.d.Z.) und der zweite von Aristoteles (384-322 v.d.Z.)

Auch der griechische Denker Platon schreibt in seinem Werk „Der Staat“:

… die Schüler achten Lehrer und Erzieher gering. Überhaupt, die Jüngeren stellen sich den Älteren gleich und treten gegen sie auf, in Wort und Tat.

Was hat dies nun alles mit unserem Wochenabschnitt „Ki tawo“ zu tun?

Wir lesen in der Paraschah fundamentale Grundsätze zum Gebot „Du sollst deine Eltern ehren“. Das Gebot selbst wird nicht genannt, nein, aber innerhalb der vielen Flüche gegen das Volk, wenn es die Gebote G´ttes nicht hält, steht auch der Satz:

Arur makleh awiw w´imo – Verflucht sei, wer Vater und Mutter verächtlich hält.

Das Gebot, gegen dessen Nichtbefolgung sich dieser Fluch ausspricht, kommt im Kanon der anderen 9 Gebote und überhaupt innerhalb der 613 Ge- und Verbote oft zu kurz, bzw. wird bis heute gerne unter den Teppich gekehrt. Ich will Ihnen 5 Grundsätze herausgreifen.

  1. Die Torah lehrt uns, unsere Eltern zu fürchten und zu respektieren. Durch den Respekt, den wir ihnen entgegen bringen, zeigen wir letztendlich Respekt nicht nur für die Eltern, sondern auch für den Schöpfer selbst.
  2. Es ist verboten da zu sitzen, wo normalerweise ein Elternteil sitzt. Man darf seine Eltern nicht bei einer Unterhaltung unterbrechen, nicht mit ihnen streiten oder Stellungnahmen abgeben wie „Mein Vater hat Recht“, da es überheblich ist, so etwas zu äußern, denn die eigene Meinung ist gegenüber der Meinung des Vaters unterlegen.
  3. Es ist ein wichtiges Gebot, unseren Eltern zu Essen zu geben und sie einzukleiden. Wenn sie reich sind, obliegt es nicht dem Sohn, sein eigenes Geld dafür auszugeben, aber wenn sie arm sind und er hat die Mittel, so muss er sie unterstützen. Gerade heute, wo unsere Eltern immer älter werden und im hohen Alter an Gebrechen leiden, die sie oft hilflos machen, sind wir als ihre Kinder gefordert. Leider muß dieses Gebot oft genug wiederholt werden, denn meistens ist es so, daß ein Vater zwar 4 Kinder ernährt aber nicht 4 Kinder ihren alten Vater.
  4. Es ist ein Gebot, vor seinen Eltern aufzustehen.
  5. Es ist eine Mitzwa, auch andere ältere Verwandte zu ehren, zum Beispiel die Großeltern, ältere Geschwister und die Schwiegereltern. Man sollte auch der Frau des Vaters, selbst wenn sie nicht die eigene Mutter ist, etwas Respekt entgegen bringen.

Wir hatten gestern am Donnerstag in unserem Jüdischen Lehrhaus Bamberg Heinrich C. Olmer einen sehr aufschlußreichen Vortrag über Judentum in Japan. Die Lehren, die wir gehört haben, könnten auch aus Japan von vor 1000 Jahren stammen. Die Ehrerbietung vor den Eltern macht erst Kultur zu Kultur. Die Eltern sind wichtig, denn ohne sie hätten wir als Kinder nicht überlebt. Darum ist es nur statthaft, sie im Alter zu ehren.

Lassen Sie mich zum Ende kommen und fragen: Was ist die Quintessenz aus dieser Drascha?

Als Antwort möchte ich hier einen Teil aus dem Jiskor zitieren, das uns klar macht, weshalb wir unsere Eltern ehren sollen:

Alle Deine Segnungen haben wir aus ihrer Hand empfangen: Das Seelenlicht, das in uns leuchtet, das haben sie gezündet, die Glut, die in uns glühet, mit ihrem Lebensodem angefacht. Was wir wirken, ist ihr Werk. Was wir sind und werden, sind wir durch sie geworden.

https://www.talmud.de/tlmd/die-torah-eine-deutsche-uebersetzung/die-torah-Ki-Tawo/