Von Martin Arieh Rudolph, 5. Ijar 5783 (26. April/14. Mai 2023)
Liebe Gemeindemitglieder, liebe Angehörige, Freunde unserer Gemeinde und Gäste,
75 Jahre Israel, das ist die Unternehmung, nicht nur eine Heimstatt für alle Juden auf der ganzen Welt zu schaffen, in einem Land, welches nicht größer ist als das deutsche Bundesland Hessen, sondern die über 3.500-jährige Geschichte von Eretz Israel, Erfahrungen von Juden aus aller Welt, die vor Hass und Angst flohen, um in Freiheit in einem jüdischen Staat zu leben, stehen dabei im Mittelpunkt unseres heutigen Geburtstagskindes.
Das Leben der ersten Einwanderer war hart – welche Mühen sie auf sich nahmen, um nach Israel zu gelangen und wie sie sich in der neuen Heimat zurechtfanden. Oftmals von Menschen, die die klimatischen Bedingungen dieses Landes nicht gewöhnt waren. Israel, seine Geschichte, sein Wachsen und Gedeihen trotz des Versuchs seiner oft feindlich gesonnenen Nachbarn, das zarte Pflänzchen zu vernichten, erlauben es uns, Juden wie Nichtjuden, heute einen Blick auf die Entstehung des Landes zu werfen.
Und nicht zuletzt die Unabhängigkeitserklärung des Staates Israel 1948 spannt den Bogen von der einstigen Zeit bis in das Heute, wenn es heißt – ich zitiere nur wenige Absätze hieraus:
„In Erez Israel stand die Wiege des jüdischen Volkes; hier wurde sein geistiges, religiöses und politisches Antlitz geformt; hier erlangte es staatliche Selbständigkeit; hier schuf es seine nationalen und universellen Kulturgüter und schenkte der Welt das Ewige Buch der Bücher.
Mit Gewalt aus seinem Lande vertrieben, bewahrte es ihm in allen Ländern der Diaspora die Treue und hörte niemals auf, um Rückkehr in sein Land und Erneuerung seiner politischen Freiheit in ihm zu beten und auf sie zu hoffen…
Die über das jüdische Volk … hereingebrochene Katastrophe, in der in Europa Millionen Juden zur Schlachtbank geschleppt wurden, bewies erneut und eindeutig die Notwendigkeit (einer) Wiedererrichtung des jüdischen Staates in Erez Israel… Dieser Staat wird seine Tore für jeden Juden weithin öffnen und dem jüdischen Volke die Stellung einer gleichberechtigten Nation unter den Völkern verleihen. …
Der Staat Israel wird für die jüdische Einwanderung und die Sammlung der zerstreuten Volksglieder geöffnet sein; er wird für die Entwicklung des Landes zum Wohle aller seiner Bewohner sorgen; er wird auf den Grundlagen der Freiheit, Gleichheit und des Friedens im Lichte der Weissagungen der Propheten Israels gegründet sein; (…) Wir bieten all unseren Nachbarstaaten und ihren Völkern die Hand zum Frieden und guter Nachbarschaft und rufen zur Zusammenarbeit und gegenseitigen Hilfe mit dem selbständigen jüdischen Volk in seiner Heimat auf. Der Staat Israel ist bereit, seinen Beitrag bei gemeinsamen Bemühungen um den Fortschritt des gesamten Nahen Ostens zu leisten.“
Dieser Text wurde 1967 durch den damaligen Verteidigungsminister Mosche Dajan bekräftigt als er an der Kotel anläßlich der Befreiung Jerusalems sagte: “Unseren arabischen Nachbarn reichen wir, auch in dieser Stunde – und ganz besonders in dieser Stunde – unsere Hand in Frieden. Und unseren christlichen und muslimischen Mitbürgern versprechen wir feierlich vollständige, religiöse Freiheiten und Rechte. Wir sind nicht um der heiligen Stätten anderer Völker willen nach Jerusalem gekommen, und nicht, um uns in die Angelegenheiten der Angehörigen anderer Religionen einzumischen, sondern um die Stadt in ihrer Gesamtheit zu schützen und dort mit anderen in Frieden und Eintracht zusammenzuleben.“
Noch wenige Zeit vor 1967, im Jahr 1948, schien der Wunsch für ein gedeihliches Zusammenleben in weiter Ferne zu sein.
David ben Gurion, der erste Ministerpräsident des jungen Staates Israel schrieb in sein Tagebuch: “Das Land war vor Freude überwältigt, unser Schicksal liegt nun in den Händen der Verteidigungskräfte.“. Was war geschehen? Das britische Mandat über Palästina ging zu Ende und der Staat Israel wurde ausgerufen entsprechend dem UNO-Teilungsplan. Nur wenige Stunden später griffen die Armeen von 5 arabischen Nachbarstaaten an. Aber sie obsiegten nicht, die Verteidigung der Juden in ihrem jungen neuen Land war stark und die waren es schließlich, die über die arabische Staaten siegten.
Heute, 75 Jahre später, treffen wir uns hier, um das Jubiläum dieser Staatsgründung zu feiern. Dass Israel dennoch so gedeihen würde, hätte dem hart umkämpften Staat an der Mittelmeerküste bei der Gründung am 14. Mai 1948 kaum jemand an der Wiege gesungen.
Einerseits überwältigende Freude und zugleich das Schicksal in den Händen der Verteidigungsstreitkräfte – wie David Ben Gurion schrieb – in dieser Spannung lebt das Land Israel bis heute.
Einerseits: Aus einem öden, wüsten , dünn besiedelten Landstrich, weit weg von einer modernen Zivilisation, wie wir sie heute für selbstverständlich nehmen, wenn man zeitgenössischen Reiseberichten folgt, entstanden wahrlich „blühende Landschaften”. Aufbruch und Pioniergeist, Start-up Nation, führend in High Tech, ob Instant Messaging, Cherrytomaten, Tröpfchenbewässerung in der Wüste, USB-Sticks, Entsalzungsanlagen, wichtige neue Medikamente, Rummikub, Soda Stream, hervorragende Weine und seit neuestem leckere Craft-Biere, die sich in der Welt behaupten können, ja selbst für uns verwöhnte Oberfranken noch den Gaumen kitzeln können, und etliche Erfindungen mehr stammen aus dem kleinen Land im Nahen Osten. Obwohl doch so klein, liefern seine Wissenschaftler und Unternehmen über die 70 Jahre seines Bestehens Erfindungen, die die Welt veränderten.
Israel ist wirtschaftlich und kulturell außerordentlich erfolgreich, eine lebhafte und starke Demokratie, auch wenn mißgünstige menschen dem land dies immer wieder abzusprechen versuchen, nicht zuletzt mit einer dringend notwendigen Reform des Justizwesens, ja und es ist ein wunderbares Urlaubsland, ein MeltingPot von Menschen aus über 90 Nationen, vielen Ethnien und Religionen, die alle ihre Kreativität und Energie und Intelligenz und nicht zuletzt ihre reichhaltige Küche einbringen.
Andererseits: Der Staat Israel steht unter ständiger Bedrohung: In fünf Kriegen musste dieses kleine Land von der Größe Hessens mit heute knapp 9 Mio. Einwohnern sich verteidigen. Und seitdem ist es immer neuen Bedrohungen und Terrorangriffen ausgesetzt. Bilder von brennenden Kibbuzim, brennende Felder, von Feuerballons verursacht, die von Gaza aus gesendet werden, Raketen von Gaza auf Sderot, Ashkelon bis kurz vor Tel-Aviv, immer wieder Attentate durch Araber, die versuchen, mit ihren Bombengürteln und neuerdings auch Autos als Waffe, möglichst viele Juden zu ermorden. Lynchjustiz an harmlosen Touristen, die sich in Zonen verirren, die sie eigentlich nicht betreten sollten. Die ständige Bedrohung durch den Iran, durch Hisbollah und Hamas bleibt für Israel stets gegenwärtig. Einem Iran, der unverhohlen ständig gegen Israel hetzt und damit prahlt, sobald genügen spaltfähiges Material in Isfahan hergestellt ist, Israel mit Atombomben zu vernichten.
Doch nicht nur dem Land Israel, auch dem Verhältnis zwischen Deutschland und Israel wohnt ein Zwiespalt inne:
Zwar sind die Beziehungen zwischen Deutschland und Israel nicht ganz schlecht, aber sie waren schon einmal viel besser, Deutschland vertritt diplomatisch Israelis in Ländern, in denen Israel keine eigene Vertretung hat. Andererseits aber wird der Zwiespalt im Verhältnis beider Länder immer wieder deutlich: wenn Israel auch mit der Stimme Deutschlands in der Uno schlimmsten Verleumdungen ausgesetzt wird, selbst wenn der deutsche Vertreter sich der Stimme enthält – Er müsste eigentlich, wenn die Treue Deutschlands zu Israel so unverbrüchlich ist, bei jeder Resolution gegen Israel mit “Nein” stimmen. Aber dazu ist man zu feige, denn man will ja mit Staaten wie dem Iran weiterhin gute Geschäfte machen, da stören die Juden nur. Wie sie auch stören, wenn deutsche Besserwisser zu glauben meinen, Juden dafür zu kritisieren, wenn sie nicht deren Ansichten folgen wollen, wie man “würdig gedenken will”. Aber das verwundert uns nicht allzusehr. Denn wir Juden lassen uns nicht den Mund verbieten! Niemals und von niemandem!
Nicht nur auf staatlicher und regionaler Ebene ist Zwiespalt erkennbar. Auch im persönlichen Gespräch mit den Menschen stellt man Probleme im Verhältnis zu Israel fest. Antijüdische, antisemitische Vorurteile von weiten Teilen unserer ach so aufgeklärten Gesellschaft, finden heute oft ihren Widerhall in antiisraelischen Vorurteilen, fußend auf mangelnder Kenntnis der Geschichte und der gegenwärtigen Situation in Israel. Leider werden viele Aktionen, um Israel in einem besseren Licht darzustellen, von Eitelkeiten ihrer Protagonisten vereitelt. Wir sehen das derzeit an der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, die früher einmal sehr unabhängig war und stets mahnte, bedingungslos zu unserer religiösen und, wenn es hart kommen sollte, auch physischer Heimat, zu stehen. Dieses Bekenntnis ist zwischenzeitlich so aufgeweicht worden, dass ich und eine Menge anderer ehemaliger Mitglieder die DIG Bamberg verlassen haben, um die “Freunde Israels in Franken” neu zu gründen.
Wir dürfen nie unsere Freundschaft mit Israel nur als wohlfeiles Lippenbekenntnis im Mund führen, sondern wir müssen als Juden wie Nichtjuden, denen es etwas am Staat Israel liegt, dafür sorgen, dass Israel von echten Freunden umgeben ist, dass Solidarität und das Einstehen nicht nur für die Sicherheit Israels, sondern auch für Fairness und Mitgefühl mit dem jüdischen Staat essentiell ist. Und das ist nicht alleine nur die Aufgabe von uns, den jüdischen Gemeinden. Es ist Aufgabe unserer Heimatländer, es ist die Pflicht aller Demokraten.
Es ist ein Wunder, dass das jüdische Volk zurückgekehrt ist in seine alte Heimat. Es ist ein Wunder, dass die hebräische Sprache wieder belebt wurde. Und es ist ein Wunder, dass Israel heute wahrscheinlich das stabilste Land in der Region ist, obwohl von Krieg und Terror bedroht.
Israel ist ein Land von großer Vielfalt, auch zwischen den Religionen. Israels Demokratie ist ein zartes Pflänzchen inmitten an die Zähne bewaffneter und von Haß auf Israel zerfressener Nachbarn, die eine verwundbare Stelle suchen, um das Land zu zerstören.
Es ist an uns, diesem Pflänzchen Dünger und Wasser zu geben, um es zu einem starken Baum werden zu lassen. Das wollen wir feiern.
Viel Glück also, Israel und Am Israel chaj!