Ein Betrug G´ttes: Drascha zur Paraschat Chukat-Balak (Bemidbar • 4. Moses 19:1 – 25:9)

von Rabbiner Dr. Salomon Almekias-Siegl

Wir hören von der Sünde der Brüder Moses und Aaron. Auf den ersten
Blick ist nicht zu erkennen, worin ihre Sünde besteht. Was war geschehen?
Wir lesen vom Aufstand des Volkes Israel gegen seine beiden Anführer.
Die Kinder Israel befürchten, mitten in der Wüste zu verdursten. Sie werfen
Moses und Aaron vor, sie hätten das Volk wider besseres Wissen aus
Ägypten in den sicheren Tod durch Verhungern und Verdursten in die Wüste
geführt. G-tt gibt daraufhin Moses den Auftrag: » Nimm den Stab und
versammle die Gemeinde, du und dein Bruder Aaron, und redet zu dem
Felsen vor ihren Augen; der wird sein Wasser geben. So sollst du ihnen
Wasser aus dem Felsen hervorbringen und die Gemeinde tränken und ihr
Vieh « .
Moses schlägt den Felsen mit dem Stab zweimal und es heißt: » Da kam
viel Wasser aus dem Felsen, dass die Gemeinde trinken konnte und ihr
Vieh « . Umgehend bringt der Ewige seinen Unmut über diese Aktion Seiner
Diener zum Ausdruck: » Weil ihr nicht an Mich geglaubt habt und Mich
nicht geheiligt habt vor den Israeliten, darum sollt ihr diese Gemeinde nicht
ins Land bringen, das Ich ihnen geben werde « .
Was haben die beiden falsch gemacht? Raschi (Rabbi Schlomo Jizchaki,
1040–1105) antwortet: Moses und Aaron zweifelten die Worte G-ttes an und
sprachen deshalb nicht zum Felsen, sondern schlugen ihn. Hätten sie zum
Felsen gesprochen, ohne ihn zu schlagen, wäre G-ttes Name geheiligt
worden im Volk durch Seine Diener. Es wäre eine Chance gewesen, den
Glauben des Volkes zu stärken, die Moses aber vergeben hat. Rabbi
Abraham Ibn Esra (1089–1167) widerspricht Raschi und meint: Das
Schlagen auf den Felsen, statt zu ihm zu reden, beweist keinen Zweifel an
G-tt, weil sich das Wunder tatsächlich vollzieht. Moses habe vielmehr auf
eine enge geistige Verbindung mit G-tt verzichtet. Deshalb hat er ein
Wunder nach seinen eigenen Vorstellungen inszeniert. Der bedeutende
spanische Rabbiner Rambam (Rabbi Mosche ben Maimon, 1138–1204)
erklärt dagegen: Die Sünde des Moses besteht darin, dass er sich über das
Verhalten des Volkes ärgert und sich dadurch zur Wut verleiten lässt. Er
hätte über der Kritik der Kinder Israel stehen müssen. So aber gab er der
Nervosität über sich Macht, die zur Entweihung von G-ttes Namen führte.
Rabbi Elazar ben Azaria verbindet die beiden genannten Erklärungen von
Raschi und Maimonides. Er sagt: Weil Moses auf das murrende Volk
wütend wurde, machte er Fehler. Er versündigt sich gegen G-tt, weil er sich
von seinem Ärger hinreißen lässt und zweimal gegen den Felsen schlägt,
anstatt nach G-ttes Geheiß zu ihm zu sprechen. Der Philosoph Moses
Mendelssohn (1729–1796) erklärt Moses Fehlverhalten damit, dass er sein
Selbstvertrauen vor der Gemeinde verloren hat. Nachdem sich das Volk bei
Aaron und Moses beschwert hatte, gingen sie von der Gemeinde weg zur
Tür der Stiftshütte und fielen auf ihr Angesicht – weil sie keine Kraft mehr
hatten. G-tt reagiert auf diesen Zustand Seiner Diener und zieht
entsprechende Konsequenzen. Da die Brüder in ihrem G-ttvertrauen so
geschwächt sind, kann der Ewige ihnen die Führung des Volkes im gelobten
Land nicht anvertrauen. Sie haben versagt, die Heiligkeit und Ehre des
Höchsten inmitten der Gemeinde zur Geltung zu bringen.
Nach allen diesen Erklärungen stellt Schadal (Schmuel David Luzzatto,
1800–1865) fest: Moses beging nur eine Sünde. Doch die Kommentatoren
der Tora haben an ihm dreizehn Sünden und noch mehr festgestellt. Er sagt:
Nur Raschi hat Recht. Moses und Aaron hätten einfach zum Fels reden
sollen, wie G-tt es ihnen befohlen hatte. Doch sie taten es nicht, und so kam
es zum Betrug G-ttes.

Aus: Schabbes News – Wochenblatt der Jüdischen Gemeinde Mannheim, 12. Tammus 5783 • 1. Juli 2023, S. 2.