…ein Mensch ist wie ein Baum auf einem Feld…
5. Buch Mose 20:19
Der jüdische Feiertag Tu BiSchwat kann zum besseren Verständnis als “Neujahr der Bäume” bezeichnet werden. Der Name leitet sich aus dem hebräischen Alphabet ab. Der erste Teil des Wortes “Tu” besteht aus zwei hebräischen Buchstaben: dem neunten Buchstaben “Teth” und dem sechsten Buchstaben “Vav”. Rechnet man die, den Buchstaben zugehörigen Zahlen zusammen, erhält man 15. Wenn man in der hebräischen Sprache die Zahl 15 ausspricht, ähnelt sie dem Namen G-ttes. Da Juden diesen Namen nur beim Beten und niemals grundlos sagen dürfen, wurde also nicht die Zahl 15 ausgesprochen, sondern mit den einzelnen Buchstaben, die zusammen “Tu” bilden, ersetzt. Der zweite Teil des Wortes “Bi” ist hebräisch für die Präposition “in” und der letzte Teil Schwat bezeichnet den elften Monat Schwat oder auch , Shevat’ des hebräischen Kalenders. Somit ist der Name des Feiertages Tu BiSchwat im Prinzip nur eine Datumsangabe. Das Fest findet also am 15. des Monats Schwat statt.
Eine genaue, dauerhaft geltende Umrechnung für den gregorianischen Kalender gibt es nicht. Allerdings lässt sich der Festtag in der Zeit von Mitte Januar bis Mitte Februar einordnen. Im Jahr 2021 beispielsweise war Tu BiSchwat am 28. Januar, während es 2022 schon am 17. Januar gefeiert wird. Wenn Sie den genauen Termin für andere Jahre wissen wollen, nutzen Sie unseren Feiertagskalender.
Religiöser Hintergrund
Es gibt es zwei Gründe warum Tu BiSchwat gefeiert wird. Zunächst soll die Dankbarkeit für die Botanik im Allgemeinen verdeutlicht werden. Hierbei geht es eher weniger um einen religiösen Bezug, sondern das Augenmerk richtet sich auf all das, was der Mensch von den Pflanzen bekommt. Beispiele hierfür sind Medikamente, Holz oder Lebensmittel. Gläubige Juden werden angehalten, nicht zu vergessen, wie abhängig sie von der Natur sind.
Der zweite Grund hat eine stärkere religiöse Bedeutung. Dabei geht es um die Ernte von an Bäumen wachsenden Früchten. In den ersten drei Lebensjahren eines Baumes dürfen Juden dessen Früchte nicht essen. Der Grund hierfür ist, dass diese Früchte als “orla” gelten. Die deutsche Übersetzung für “orla” ist “unerwünscht” oder “nicht gut”. Man vertritt also die Auffassung, dass zu früh geerntete Früchte eines Baumes schlecht selen. Sie müssen entsorgt werden. Im vierten Lebensjahr des Baumes bringt man die Früchte nun zum Tempel, um sie für G-tt zu opfern und den Ertrag des Baumes von einem Priester segnen zu lassen. Erst im fünften Jahr dürfen die Juden die Früchte dann zu sich nehmen, Aus diesem Grund soll Tu BISchwat als Neujahr der Bäume eine Hilfe sein, um das Alter eines Baumes zu berechnen.
Des Weiteren lässt sich die Festlegung des Namens und des Datums für Tu BiSchwat mit Religionsgeschichte begründen. Im ersten Jahrhundert lebten zwei Rabbiner, die in ihrer Glaubensausübung voneinander abwichen. Sie trugen die Namen Hillel und Schammai. Schammai vertrat seinen Glauben strenger und beharrte stärker auf bereits vorhandenen Traditionen und Ritualen. Er bestand darauf, dass jeder Neuanfang am ersten Tag eines Monats sein musste und deshalb auch Tu BiSchwat als Neujahr der Bäume am ersten Shevat stattfinden sollte. Hillel wiederum besaß eine lockerere Auffassung der Religion und ging gerne Kompromisse ein, wenn es nötig war. Für ihn war es nicht sinnvoll, das Neujahr der Bäume bereits am ersten Shevat zu feiern, da es zu dieser Zeit in Israel noch oft und viel regnet, wodurch die Erde zu nass ist, um einen Baum zu pflanzen. Darum schlug Hillel den 15. Shevat vor, weil die Erde bis dahin trocken genug sei, um Bäume zu pflanzen. Dieses Datum wurde bis heute übernommen und auch der Name Tu BiSchwat leitet sich davon ab.
Bedeutung der Pflanzen
Tu BiSchwat hat hauptsächlich eine soziale Bedeutung in der Landwirtschaft. Beim Ernten gibt es eine Art soziales Gesetz, welches besagt, dass die Reste, die auf dem Feld oder auf der Wiese liegen bleiben und vergessen werden, dort liegen bleiben sollen, damit die Armen sich etwas nehmen können. Wenn beispielsweise ein Apfelbaum abgeerntet wird und dabei Äpfel neben den Korb oder aus diesem herausfallen, sollen diese nicht extra noch einmal aufgehoben werden.
Der Ursprung hierfür lässt sich in der Tora finden. Im dritten Buch Mose in Kapitel 19, Vers 9 bis 10 steht:
Wenn ihr die Getreideernte einbringt, sollt ihr eure Felder nicht ganz bis an den Rand abmähen und keine Nachlese halten. Auch in euren Weinbergen soll es keine Nachlese geben. Sammelt die Trauben am Boden nicht ein, sondern überlasst sie den Armen und Fremden! […]
und im fünften Buch Mose in Kapitel 24, Vers 19 kann man lesen:
Wenn ihr bei der Ernte eine Garbe auf dem Feld vergesst, geht nicht zurück. […] Lasst sie den Ausländern, Waisen und Witwen! […]
Damit ist diese soziale Verpflichtung auch eine Frage des Glaubens.
Für ein weiteres Vorkommen der Pflanzen in den Feierlichkeiten zu Tu BiSchwat muss die jüdische Geschichte betrachtet werden. Im 15. und 16. Jahrhundert wurden die Juden aus Spanien vertrieben. Diese hatten eine spezielle Art, Tu BiSchwat zu feiern und durch die Verteilung auf unterschiedliche Regionen wurde dieser Brauch verbreitet. Bis heute wird es in manchen Regionen so zelebriert. Am Abend vor dem eigentlichen Festtag werden insgesamt dreißig unterschiedliche Sorten von Früchten gegessen, aufgeteilt in drei Gruppen mit jeweils zehn verschiedenen Obstsorten. In der ersten Gruppe sind Früchte, die eine Schale besitzen, welche nicht mitgegessen wird, wie Bananen, Nüsse oder Granatäpfel. Die zweite Gruppe besteht aus Steinobst, zum Beispiel Datteln, Kirschen, Pflaumen oder auch Oliven. Die letzte Gruppe wird gebildet aus Früchten, die eine essbare Schale und Kerne haben, wie Trauben, Äpfel oder Birnen.
Diese spezielle Einteilung soll die Schöpfung G-ttes symbolisieren, indem jede Früchtegruppe eine der kabbalistischen Welten darstellt. Diese Welten beschreiben den Zusammenhang zwischen G-tt und Mensch innerhalb der Schöpfung. Mit diesem besonderen Festmahl wird Tu BiSchwat eingeläutet, denn nach jüdischer Zeitrechnung beginnt jeder Tag bereits an dem Abend des vorherigen Kalendertages.
Ein weiterer Aspekt in Bezug auf die Pflanzen liegt in den Jahren 1947 und 1948. Zu dieser Zeit gab es eine schlimme Malaria-Epidemie in Israel. Aus diesem Grund pflanzten die Juden an Tu BiSchwat zahlreiche Eukalyptusbäume, denn diese ziehen besonders viel Wasser. Wenn es kein oder nur wenig Wasser gibt, gibt es auch keine Mücken, die Malaria übertragen, da sich diese Insekten nur bei stehenden Gewässern entwickeln. Somit konnte die Malaria-Krise in Israel beendet oder wenigstens eingedämmt werden.
Ein zusätzlicher wichtiger Gesichtspunkt der Bedeutung der Pflanzen beim jüdischen Tu BiSchwat hängt mit dem Wert des Festtages für Juden, die in der Diaspora leben, zusammen. Als in der Diaspora lebende Juden werden diejenigen bezeichnet, welche, aufgrund von früheren Vertreibungen, nach wie vor außerhalb von Israel wohnen. Für diese stellen die aus Israel importierten Waren, wie Tomaten oder Orangen, eine direkte seelische Verbindung mit ihrem Heimatland dar.
Heutige Ausübung
In Israel ist Tu BiSchwat heute ein nationaler Feiertag, an dem natürlich auch die Schulen geschlossen bleiben. Anstelle des Unterrichts pflanzen die Kinder Bäume auf Bergen, an Friedhofsmauern und besonders an den Seitenstreifen der Autobahnen. Der Grund hierfür sind die überaus heißen Sommer in Israel. Diese sorgen oft dafür, dass die Reifen der Autos bei höheren Geschwindigkeiten auf den Schnellstraßen platzen. Mit den Bäumen am Straßenrand existieren dann Schattenplätze, wo die Autofahrer und Passagiere sich ausruhen können, während sie auf den Pannendienst warten. Diese Art, Tu BiSchwat zu zelebrieren, soll den Kindern vermitteln, dankbar für die Botanik zu sein. Zudem soll ihnen der richtige Umgang mit Bäumen gelehrt werden.
Selbstverständlich wird Tu BiSchwat außerhalb Israels ebenfalls gefeiert. Je nach Region gibt es unterschiedliche Bräuche. In manchen Gegenden wird der Tag begangen, indem die sieben landwirtschaftlichen Erzeugnisse verspeist werden, welche besonders stark in Israel vertreten sind. Das sind Gerste, Weizen, Weintrauben, Datteln, Feigen, Oliven und Granatäpfel. Ein Rezept dazu finden Sie hier.
Häufig richtet man sich auch nach dem Datum des Festtages. Demnach sollen fünfzehn verschiedene Pflanzen oder Früchte verzehrt werden. Eine weitere Tradition in etlichen Familien ist die gemeinsame Zubereitung eines Obstsalates.
Vor dem Essen werden wie immer jeweils die passenden Dankgebete, Brachot, gesprochen…
Am Beginn des Festtages das Zeitgebet:
ברוך אתה ה´, אלוקנו מֶלֶךְ הָעוֹלָם שהחינו וקמינו והגיענו לזמן הזה
(Baruch ata HaShem*, Elohenu Melech HaOlam, Schehechjanu Wekiymanu Wehigianu Lasman Haze)
Der Weinsegen (oder Traubensaft, falls Sie auf Wein verzichten):
ברוך אתה ה´, אלוקנו מלך העולם, בורא פרי הגפן
(Baruch ata HaShem*, Elohenu Melech HaOlam, Bore Pri Ha’Gefen)
Brot:
ברוך אתה ה´, אלוקנו מלך העולם, המוציא לחם מן הארץ
(Baruch ata HaShem*, Elohenu Melech HaOlam, Ha Mozi Lechem Min Ha’Arez)
Baumfrüchte:
בָּרוּךְ אַתָּה ה´ אֱ‑לֹהֵינוּ מֶלֶךְ הָעוֹלָם בּוֹרֵא פְּרִי הָעֵץ
(Baruch Ata HaShem*, Elohenu Melech HaOlam, Bore Pri Haez)
Erdfrüchte:
ברוך אתה ה´, אלוקנו מלך העולם, בורא פרי האדמה
(Baruch ata HaShem*, Elohenu Melech HaOlam, Bore Pri Ha’Adama)
Getreideprodukte, Kuchen, Konfekt:
ברוך אתה ה´, אלוקנו מלך העולם, בורא מיני מזונות
(Baruch ata HaShem*, Elohenu Melech HaOlam, Bore Mine Mesonot)
Alle anderen Speisen, Getränke und Genussmittel ausser Wein und Traubensaft:
ברוך אתה ה´, אלוקנו מלך העולם, שהכל נהיה בדברו
(Baruch ata HaShem*, Elohenu Melech HaOlam, Schehakol Nihje Bidwaro)
(*Ersetzen Sie bitte “HaShem” durch die hebräische Bezeichnung für G-tt, wenn Sie die Segenssprüche sprechen)
Chag Sameach!
Bild: Mahane Yehuda Market, Jerusalem, Julien Menichini – Wikimedia Commons