Von Rabbiner Dr. S. Almekias-Siegl
Jüdisches Verhalten im Ausnahmezustand
5. BM Dewarim 21:10 – 25:29
Wenn du als Kriegsherr gegen deine Feinde ausziehst, hüte dich vor jeder bösen Sache
Dew. 23, 10
Tagtäglich berichten uns die Medien über Gräueltaten, die weltweit in Kriegsgebieten abspielen, nicht nur in abgelegenen Bergtälern des Kaukasus oder im Dschungel Afrikas, sondern mitten in Europa – wie aktuell in der Ukraine. Bürger europäischer Zivilisation streifen über Nacht ihre Erziehung. Anstand und Moral ab und werden zu Bestien in Menschengestalt.
In ihrer realistischen Weltanschauung rechnet die Tora auch mit Krieg, doch verlangt sie, dass selbst in Ausnahmezuständen der jüdische Soldat Mensch bleibt und seine Moral nicht ablegt:
Selbst wenn du aus den Umschränkungen des gewöhnlichen Familien- und bürgerlichen Lebens hinausgetreten bist und dich in einem wider deine Feinde gerichteten Kriegslager befindest … wo so leicht die Bande der Zucht und Sitte sich lösen und der Kriegszweck selbst ungebundener Roheit Vorschub leisten könnte, sollst du den selbstbeherrschenden Blick nach ich innen nicht verlieren, und dich vor jeglichem Schlechten hüten
S.R. Hirsch
Und ähnlich fasst Rabbiner Dr. D. Hoffmann diesen Passuk auf:
Während bei den bei den heidnischen Völkern im Krieg alle Bande der Zucht und Sitte gelöst waren, befiehlt das G-ttesgesetz, dass gerade das Kriegslager für heilig gehalten werde, da der Ewige mitten im Kriegslager weilt und dasselbe in gewisser Beziehung dem Heiligtum gleichzuachten sei
Was haben wir unter “böser Sache” (“Dawar Ra”) zu verstehen? Der halachische Midrasch Sifre bezieht dies auf Unzucht, Götzendienst, Mord und G-tteslästerung. Wenn der Krieg das Töten des Gegners im Rahmen der Selbstverteidigung erforderlich macht, so bleibt doch der Mord an Gefagenen, an Zivilisten ein Verbrechen wie zu Friedenszeiten.
Unsere Weisen deuteten den Ausdruck “Dawar Ra” auch als böses Wort und warnten vor übler Nachrede.
Rabbi Me’r Simcha Hakohen von Dvinsk interpretiert in seinem Kommentar zur Tora (“Meschech Chochma”) das böse Wort als Geheimnisverrat, als manchmal unachtsames Ausplaudern wichtiger Informationen. Leider bietet die jüngste Geschichte so manches Beispiel, wo geheime Operationen Israels gefährdet oder sogar zunichte gemacht wurden, weil ein “Offizieller” aus Prestigesucht und Wichtigtuerei seinen Mund vor der Presse nicht halten konnte.
Zwietracht, Verleumdungen, Intrigen, all dies schwächt die Moral der Truppe und die innere Einheit des Volkes, was sich in Kriegszeiten verheerend auswirken kann. Der Malbim betont, dass die Auseinandersetzung im Inneren mehr Opfer kosten kann als der Kampf gegen den äusseren Feind.
Unser Passuk wie auch der einleitende Passuk des Wochenabschnitts sind in der Einzahl gehalten:
Wenn du zum Krieg gegen deine Feinde ausziehen und der Ewige, dein G-tt, ihn in deine Hand geben wird …
Dew. 21, 10
Wenn das jüdische Volk die Reihen schliesst und sich geeint der Auseinandersetzung mit seinen Widersachern stellt, so verspricht die Tora den G-ttlichen Beistand.
Schabbat Schalom!
https://www.talmud.de/tlmd/die-torah-eine-deutsche-uebersetzung/die-torah-Ki-Tetze/