Anlässlich des 27. Januars, der dieses Jahr auf einen Schabbat fiel, veranstalteten wir als Israelitische Kultusgemeinde Bamberg am 29. Januar unser eigenes Gedenken, auf dessen Einladung die interessierte Bamberger Bevölkerung mit großer Beteiligung gefolgt ist. Ausdrücklicher Wunsch unsererseits war es und ist es, anders als in den Jahren zuvor, dass keine politischen Reden und Ansprachen durch zum Beispiel die Stadtoberen gehalten werden sollten. Schließlich wollten wir den Tag selbst gestalten und selbst bestimmen, nach welchem Protokoll wir gedenken. Dafür ist uns ein Tag wie der 27. Januar einfach zu wichtig.
So hat der überwältigende Großteil unserer Gemeinde wie die anderen jüdischen Gemeinden in Deutschland ein völlig eigenes Verständnis von der Erinnerung an das Geschehene, verglichen mit der deutschen Interpretation von Geschichtsbewältigung, zumal die meisten Mitglieder aus den ehemaligen Sowjetrepubliken als Kontingentflüchtlinge nach Deutschland gekommen sind. Allein Letzteres wird an großen Gedenktagen sehr vernachlässigt, ausgeblendet und totgeschwiegen: Integration gab es faktisch nicht, wenn Diplome und akademische Abschlüsse nicht anerkannt werden, kein Anspruch auf Rente besteht, Ärztinnen zum Lebensunterhalt in der Not als Reinigungskräfte anfangen und heute in Sozialwohnungen am Stadtrand auf Grund-sicherungsniveau „leben“ müssen. Auch das gehört zur deutschen Gedenk- und Erinnerungskultur, wenn allenthalben „Nie Wieder!“ skandiert wird. Einige unserer Gemeindemitglieder haben ihre Angehörigen mit eigenen Augen von Deutschen und ihren Helfershelfern in die Gruben von Babyn Jar verscharrt sehen müssen. Deswegen ist ein Gedenktag wie der 27. Januar ausdrücklich auch ein Tag für sie, die Würdigung ihrer Familien- und Lebensgeschichte sowie ihre Einbeziehung als aktiver Teil der Weltgeschichte und Gegenwart.
Umso mehr sollte in der IKG Bamberg auf gemeinsamen Beschluss des Vorstandes und der Gemeindemitglieder dieses Jahr der zweifache Charakter des Gedenktages hervorgehoben werden. Selbstverständlich wird von uns der Opfer des Nationalsozialismus gedacht, dazu gehören für uns ebenso selbstverständlich die Juden aus der Ukraine, Belarus und Russland, die unsere Gemeinde prägen und den Großteil unserer Mitglieder ausmachen. Deshalb ist es aber gleichzeitig auch ein Tag der Freude und des Sieges über die Täter. Denn Juden waren die weltweit zahlenmäßig größte Gruppe, die gemessen am Anteil an der Gesamtbevölkerung als Soldaten oder Partisanen dem Nationalsozialismus entgegengetreten sind und am Ende siegreich waren.
Mit diesen Überlegungen von grundsätzlichem Wert hielt unser langjähriger und hoch geschätzter Gemeindevorsitzender, Martin Arieh Rudolph, vor den Versammelten im Synagogenraum seine Gedenkrede und wurde damit sowohl dem wichtigen Tag als auch unserer Gemeinde gerecht: „Juden werden es nie wieder erlauben, wie Schafe zur Schlachtbank geführt zu werden. Mit diesem Bekenntnis des „Nie wieder!“ ist der Staat Israel entstanden, damit sich Juden gegen jedweden Aggressor wehren können.“
Den von allen Seiten als bewegend wie erhebend wahrgenommenen Höhepunkt bildete die musikalische Darbietung von Barockstücken jüdischer Komponisten wie Rossi, Cervetto, Ucellini und Lidarti durch das Ensemble der Musiker Carmen Frentes Gimeno und unser Gemeindemitglied Marcos Fregnani-Martins (beide Querflöte) sowie Susanne Hartwig-Düfel am Cembalo. Ganz im Sinne des französischen Romanciers Victor Hugo: „Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist.“ Das sind die Trauer über die Toten sowie die Freude über die Befreiung und die Hoffnung, das Prinzip der haTikwa für uns Juden auf der ganzen Welt.
(Jaffa Katharina Lyn, Öffentlichkeitsbeauftragte der IKG Bamberg)
Bilder: © Joseph Beck, Heinrichsblatt Bamberg