Paraschat Noach (1. Mose 6,9-11,32)/ פָּרָשַׁת נֹחַ

21. Oktober 2023 / 6. Cheschwan 5784

Von Rabbiner Dr. Salomon Almekias-Siegl

Die Geschichte von der Sintflut, Noach und der Arche ist vielen bekannt. Nach Adam ist die Menschheit zunehmend boshafter geworden. Daraufhin bereut es Gott, den Menschen erschaffen zu haben. Deshalb lässt er eine Flut über die Erde kommen, die alles Lebende auslöschen soll. Allein Noach mit seiner Familie sowie Repräsentanten aller Tiergattungen sollen in einer Arche die Flut überleben und einen Neubeginn der menschlichen Geschichte ermöglichen.

Als Noach nach 40 Tagen prüfen wollte, ob sich die Wasser zurückgezogen hätten, ließ er einen Raben ausfliegen; der flog immer hin und her, bis die Wasser vertrockneten auf Erden. Von ihm bekommt Noach keine Rückmeldung in Sachen Wasserstand.

Erst die ausgesandten Tauben dienen Noach als verlässliche Wasserstandsmelder.

Der Rabe gehört nach jüdischem Verständnis zu den unreinen Tieren. Und so fragen wir uns, warum Noach überhaupt einen Raben aussandte und nicht gleich eine Taube, die zu den reinen Tieren zählt, um zu erfahren, ob das Wasser gesunken sei.

Eine Interpretation sagt: Die Sendung des Rabens geht von dem Wissen aus, dass er zu den Aasfressern gehört.

Wäre er mit einem Stück Fleisch im Schnabel zur Arche zurückgekehrt, hätte Noach gewusst, dass es wieder Leben auf der Erde gibt.

Eine andere Auslegung geht davon aus, dass die Raben häufig in der Nähe von Häusern nisten. Bleibt der Rabe für Noach außer Sicht, wäre das der Hinweis auf vorhandene Kultur.

In einem Midrasch zur Frage, warum Noach den Raben zuerst geschickt hat, hören wir:

Der Rabe diskutierte mit Noach darüber, warum ausgerechnet er die gefährliche Mission übernehmen, die Arche verlassen und den Wasserstand prüfen sollte. Es gäbe doch genug andere Tiere an Bord, die das auch tun könnten.

Noach antwortete ihm, dass die Raben weder als Opfertiere noch als Nahrungsquelle geeignet seien. Im schlimmsten Falle käme er nicht zurück. Mit ihm habe man nichts zu verlieren. Die Welt braucht ihn nicht.

Daraufhin schaltet sich Gott in die Diskussion ein und entgegnet dem Kapitän der Arche:

„Noach, du irrst! Du unterschätzt die Raben. Die Welt wir sie in Zukunft brauchen.“

„Wann wird das sein?“, fragte Noach.

„Später, wenn ich der Sintflut ein Ende gesetzt habe, die Wasser sich verlaufen haben und die Erde wieder unter meinen Verheißungen auflebt, dann wird ein Zaddik, ein Gerechter in Israel aufstehen. Und den Raben wird es zukommen, ihn zu retten. Du sollst wissen, dass alle Geschöpfe, die ich geschaffen haben, eine Aufgabe in Gottes Plan haben. Keines ist nutzlos.“

Der Ewige macht Noach darauf aufmerksam, dass er die Raben im Hinblick auf die Erhaltung der göttlichen Schöpfung maßlos unterschätzt.

Auch wenn der Rabe in der Geschichte von der Arche keinen Erfolg vermelden kann, spielt er später bei der Rettung des Propheten Elia die entscheidende Rolle. Dieser hatte dem götzendienerischen Ahab, König von Israel, Gottes Strafe angesagt: „Es soll diese Jahre weder Tau noch Regen kommen, ich sage es denn.“

Daraufhin befiehlt der Ewige dem Propheten, sich am Bach Krith zu verbergen. Dort werden uns die Raben als die ersten Caterer vorgestellt. Sie retten in der Hungersnot Elia das Leben, indem sie ihn mit Brot und Fleisch morgens und abends versorgen.

Diese biblische Sicht auf die Rolle der Raben in Gottes Heilsgeschichte mit der Welt lässt uns erkennen: Es kommt in der Beurteilung von Menschen und in der Erziehung darauf an, sehr überlegt und vorsichtig zu reden und zu handeln. Wir sollen dafür sorgen, dass andere durch uns mit Hoffnung und Selbstvertrauen in der Welt sind. Wir sollen uns gegenseitig ermutigen, unsere Aufgaben zur Heilung der Welt wahrzunehmen – so wie es Gott in seinem Plan vorsieht.