Von Rabbiner Dr. Salomon Almekias-Siegl
In diesem Jahr habe ich wieder die Sommerpause für Besuche bei meiner Familie und Verwandtschaft in Israel genutzt. Da die Lage in Israel aktuell viele Freunde Israels bedrückt, möchte ich hier gerne die Möglichkeit nutzen, unseren Gemeindemitgliedern aber auch Freunden der IKG Bamberg und interessierten Lesern an meinen Erfahrungen Anteil haben zu lassen und persönliche Impressionen aus Israel zu vermitteln.
Ich bin am 1. August in Israel um vier Uhr morgens mit IsraAir am Ben Gurion-Flughafen in Tel Aviv angekommen. Die Ankunft sollte eigentlich um Mitternacht sein, war aber stattdessen erst um vier Uhr morgens. Aufgrund der Sicherheitslage flogen internationale Fluggesellschaften in der Zeit überhaupt nicht mehr von und nach Israel. Daher gab es solche Verspätungen.
Wenn man in Deutschland oder anderswo im Ausland lebt, dann liest und hört man zur Zeit besonders viel vom Geschehen in Israel. Bei der Ankunft als Reisender merkt man aber praktisch nichts davon. Der Krieg passiert an den Grenzen im Norden und Süden. Die Bevölkerung aus dem Norden Israels, die an den Grenzen zu Syrien und Libanon lebt, ist evakuiert und in Hotels im Landesinneren untergebracht. Die Regierung bezahlt für diesen Aufenthalt. Seit Kriegsbeginn sind dies nun fast schon zehn Monate.
Die Leute sind natürlich bedrückt, weil sie ihre Häuser verlassen mussten und die Bedingungen in Hotels nicht mit einem privaten Wohnsitz vergleichbar sind. Die Menschen sind verbittert und müssen mit der Ungewissheit leben, nicht zu wissen, wann sie nach Hause zurückkehren können. Die Städte wie Kirjat Schmona und Metulla an der libanesischen Grenze und die kleinen Ortschaften in der Nähe werden auch konstant von der Hisbollah mit Raketen beschossen.
Im Süden, aus den Ortschaften im Grenzgebiet zum Gazastreifen, wie z.B. Aschkelon, wurden die Bewohner ebenfalls in Hotels in größerer Entfernung zur Grenze evakuiert. Im Gazastreifen wird ein richtiger Krieg geführt, in dem das israelische Militär praktisch alles bis zum Kies zerstört hat. Der Grund für diesen Krieg ist, dass Israel nach den Terrorangriffen am 7. Oktober 2023 die böse Terrororganisation Hamas vernichten möchte.
Die israelische Kriegsführung wurde dadurch erschwert, dass sich die Hamas in der zivilen Bevölkerung und in zivilen Strukturen einquartiert, bewegt und darin kämpft. Wenn die israelische Armee weiß, dass sich in einem bestimmten Gebäude ein Hamas-Waffenlager befindet, wirft sie Flugblätter ab und ruft mit Lautsprechern in arabischer Sprache zum Verlassen des Gebäudes auf. Sie tut dies, damit Israel das Gebäude ohne vermeidbaren Schaden für die Zivilbevölkerung zerstören kann.
Im Laufe der Jahre hat die Terrororganisation Hamas Hunderte Kilometer von unterirdischen Tunneln gebaut. Dort haben die Hamas-Kämpfer Waffen geschmuggelt sowie Waffenlager und Hauptquartiere für die Hamas gebaut. Ein klassisches Beispiel sind die Tunnel unter dem Al-Schifa-Krankenhaus in Gaza. Darin waren im November 2023 Hamas-Kämpfer und ihre Waffen stationiert, in der Überzeugung, dass Israel sie dort nicht angreifen würde.
Nach diesen Entdeckungen in den Hunderten von Tunneln fragt man sich, wofür im Laufe von Jahren und Jahrzehnten von den Geberländern große Summen Geld gegeben wurde, das in den Tunnelbau floss. Sehr viel Geld, das von der internationalen Staatengemeinschaft nach Gaza überwiesen wurde, hat nie wirklich das palästinensische Volk in Gaza erreicht, sondern wurde von der Hamas kontrolliert, veruntreut und für den Bau ihrer militärischen Infrastruktur und Fähigkeiten zweckentfremdet.
Mit den internationalen Hilfsgeldern hätte stattdessen die humanitäre und wirtschaftliche Lage, die Gesundheitsversorgung und Schulbildung für die Palästinenser nachhaltig verbessert werden können. Israel könnte diesen Krieg schnell beenden, aber weil die Hamas israelische Geiseln gefangen hält, sind Israel die Hände gebunden. Auch die Versorgung der Zivilbevölkerung im Gazastreifen mit Hilfsgütern, die Israel ausreichend zulässt, wird von der Hamas vor Ort kontrolliert und manipuliert, so dass der falsche Eindruck entsteht, Israel würde die nötigen Hilfslieferungen nicht ermöglichen.
Besucher in Israel, die den Nachrichten im Fernsehen, dem Radio und Internet folgen, erkennen, dass die Vereinten Nationen und der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag aufgrund ihrer antisemitischen Prägung Israel falsche Vorwürfe machen. Zum Beispiel warfen der UN-Generalsekretär António Guterres und die Regierung von Südafrika Israel vor, einen Völkermord auszuüben.
Solche Vorwürfe sind schlicht unwahr und strikt abzulehnen. Wenn Israel ein solches Ziel hätte, würde das israelische Militär keine Lautsprecher und keine Flugblätter einsetzen, um die palästinensischen Bewohner davor zu warnen, dass ein Angriff auf ihre Gebäude bevorsteht. Dazu stellt sich die Frage, warum die Weltgemeinschaft nicht in gleichem Maße auch von der Hamas fordert, die Kämpfe einzustellen und die Geiseln freizulassen?
Seit langem beobachte ich die Berichterstattung der deutschen Medien über Israel und kenne die Stimmung der Israelis. In diesem Sommer habe ich sie aber aktuell neu erlebt. Dabei hat sich mein Gefühl bestärkt, dass weder die Welt noch Deutschland Israel richtig versteht und wahrscheinlich nicht wirklich verstehen möchte.
Die gesamte israelische Bevölkerung wünscht sich nichts sehnlicher, als die Rückkehr der Geiseln, der Söhne, Töchter, Großeltern und Enkel der Nation. Die Proteste von der „Bring them home“ (Bringt die Geiseln nach Hause)-Bewegung für ein Abkommen mit der Hamas zum Austausch der israelischen Geiseln in Gaza mit in Israel inhaftierten palästinensischen Terroristen setzt die Regierung unter großen Druck. Die Regierung müsste für die Befreiung der Geiseln das andere wichtige Kriegsziel, die Hamas militärisch und politisch auszuschalten, mindestens teilweise aufgeben.
Im Judentum ist es auch eine halachische Frage, die zum Beispiel von dem berühmten Rabbiner Shlomo Aviner formuliert wurde, dass das Überleben von Einzelnen nicht mit dem Überleben der ganzen Nation aufgerechnet werden darf. Oft diffamieren die Proteste der „Bring them home“- Bewegung Premierminister Netanyahu und seine Regierung; er wurde sogar von Demonstranten schon mit Hitler verglichen. Solche Vorwürfe und Vergleiche sind natürlich unzutreffend. Benjamin Netanjahu hat als inzwischen am längsten dienender Premierminister Israels große Regierungserfahrung, sowohl politisch als auch militärisch, und kann einen stabilen außen- und verteidigungspolitischen Kurs Israels gewährleisten. Leider erweckt und fördert die Diffamierung seiner Person, Politik und Regierung im Inland die antisemitischen Stereotype gegenüber Israel im Ausland.
Natürlich ist die öffentliche Meinung in Israel sehr gespalten. Das Land sieht sich der größten Bedrohung seit der Gründung des Staates Israel ausgesetzt. Das Leben zigtausender Menschen wurde durcheinander gebracht. Die Befreiung der Geiseln und die Zerstörung der Hamas sind gleichwichtige, und dennoch konkurrierende politische und militärische Ziele. Das Anliegen der Geiselfamilien und ihrer zahlreichen Unterstützer erfährt selbstverständlich eine enorme Aufmerksamkeit und emotionale Anteilnahme der Bevölkerung, die sich in starker politischer Solidarität ausdrückt. So wurde die „Bring them home“-Bewegung nach und nach zu einer Art „außerparlamentarischer Opposition“, die zusammen mit der eigentlichen Opposition in der Knesset die Regierung Netanjahu bedrängt.
Die islamistischen Terrororganisationen Hisbollah im Libanon und Hamas im Gazastreifen haben sich in den letzten Jahren stark entwickelt. Sie sind heute vom Iran mit modernen Waffen wie Mittel- und teils auch Langstreckenraketen ausgestattet und sind damit die größte Gefahr für den Frieden und die Stabilität nicht nur für Israel sondern für den gesamten Nahen Osten. Es ist gut zu wissen, dass Israel seit November 2023 rund 80 Prozent der Hamas-Terrororganisation und ihrer Quartiere zerstört hat.
G-tt sei Dank wird der Krieg im Süden und Norden nur in den Grenzregionen geführt, so dass das Leben für die Bewohner des Inlandes und der großen Bevölkerungszentren weitgehend normal weitergeht. Auch dies ist ein Zeichen für die Stärke und den Erfolg des Militärs und seiner sehr gezielten Kriegsführung, aber auch für die schon oft erprobte Resilienz der Bevölkerung. Auch wenn einige hunderttausend junger Menschen zum Reservedienst eingezogen wurden und teils seit vielen Monaten kämpfen müssen, sind die Cafés und Restaurants voll, so dass man ohne Reservierung keinen Platz bekommt.
In vielen Bereichen wird das Leben in Israel durch jüdische und nichtjüdische Volontäre aus dem Ausland unterstützt. Es ist wirklich zu bewundern, dass so ein kleines Volk wie Israel, das von Feinden umgeben ist, sich so stark gegen diese wehren kann. Vielleicht müssen wir der Empfehlung von Mose folgen, die er dem Volk Israel kurz vor dem Auszug aus Ägypten gab: „Seid still, und G-tt wird euren Kampf führen“ (Exodus 14,13).
Am Israel chaj – das Volk Israel lebt!
Dr. Salomon Almekias-Siegl, IKG Bamberg