Vor 80 Jahren, am 27. Januar 1945, wurde das Konzentrationslager Auschwitz von sowjetischen Truppen befreit. Im nahe gelegenen Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau ermordeten deutsche SS-Angehörige zwischen 1940 und 1945 mehr als eine Million Menschen. Die meisten von ihnen waren Juden. Auschwitz wurde zum Symbol für den nationalsozialistischen Massenmord an den europäischen Juden.
Um die Erinnerung auch für künftige Generationen wachzuhalten, hat der damalige Bundespräsident Roman Herzog im Jahr 1996 den 27. Januar zum nationalen Gedenktag in Deutschland erhoben. Dieser Tag soll an alle Opfer des nationalsozialistischen Rassenwahns und Völkermordes erinnern und der Millionen Menschen gedenken, die durch das nationalsozialistische Regime entrechtet, verfolgt, gequält oder ermordet wurden. Auch die Generalversammlung der Vereinten Nationen erklärte den 27. Januar in einer Resolution zum internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust.
Auschwitz, eine Kleinstadt in Polen mit etwa 12.000 Einwohnern, liegt 90 km südöstlich von Kattowitz und 50 km westlich von Krakau. In Auschwitz wurde in einer ehemaligen polnischen Kaserne ein Konzentrationslager eingerichtet. Es war vor allem bestimmt für „politische“ polnische Häftlinge. Im Stammlager Auschwitz wurde die Arbeitskraft jüdischer und nichtjüdischer Häftlinge brutal ausgebeutet. Auschwitz wurde im Sommer 1941 ein Vernichtungslager für die „Endlösung der Judenfrage“. Das Volk der Juden sollte radikal ausgerottet werden. Auschwitz ist geradezu ein gigantisches Menschenopfer der Nationalsozialisten. Neben dem Vernichtungslager Auschwitz II gab es noch weitere Vernichtungslager: Chełmno, Bełżec, Sobibor, Treblinka und Majdanek.
Angesichts der heranrückenden sowjetischen Armee wurde im November 1944 der Befehl erteilt, die Vergasungen zu beenden und die Vernichtungsanlagen zu zerstören. Am 17. Januar 1945 begannen mit 90% der verbliebenen Häftlinge, 67.000 Gefangene, die Todesmärsche nach Westen. Viele von ihnen wurden unterwegs ermordet, verhungerten, erfroren. Im Lager wurden nur 7.000 Überlebende am 27. Januar 1945 von den sowjetischen Truppen befreit. In der Gerberei fand man sieben Tonnen Menschenhaar.
Es ist wichtig, am 27. Januar einen Gedenkgottesdienst zu begehen; denn es besteht die Gefahr, die Mitte dieses einmaligen Geschehens zu verlieren. Sie kann aber durch Bibellesung, Predigt, Lieder, Gebete, Orgelmusik und bewusst ertragene Stille nicht bloß in Erinnerung, sondern in Betroffenheit, ja in Schulderfahrung des deutschen Volkes eingeholt werden.
Auschwitz ist das Stichwort der Judenvernichtung, des Holocausts bzw. der Schoa. Nur wenige haben überlebt. Aller ermordeten Juden wird in der Gedenkstätte „Yad Vaschem“ in Jerusalem gedacht. Es gibt auch z.B. in Berlin eine Gedenkstätte mit einer Vielzahl grauer Stelen.
Warum Auschwitz? So lautet die Zentralfrage unserer Zeit. An sie ist im Gottesdienst zu erinnern, nicht um sie zu bewältigen, sondern in Klage vor Gott zu bringen. Die Frage zeigt die Ratlosigkeit der Nachwelt, vor allem aber die Trübsal und die Schrecken vor Gott.
Warum Auschwitz? Gunnar Heinsohn nennt in seinem Buch „Warum Auschwitz?“ 42 Theorien. Die erste Theorie ist die Leugnung von Auschwitz, die immer wieder verbreitet wird. Im Gottesdienst aber wird gerade diese Leugnung bestritten; darum ist er ein besonders wichtiges Element gegen die Leugnung. Bleibt Auschwitz ewig unerklärbar? Dürfen wir über Auschwitz überhaupt theoretisch nachdenken, uns also über dieses zutiefst abgründige Menschenversagen und Geschehen Theorien machen? Der Gottesdienst stellt die tiefsten menschlichen Fragen – vor Gott. Der Gottesdienst ist unersetzlich.
Auschwitz gilt als „Befreiung“ von der Forderung des Dekalogs, der im fünften Gebot den Mord an Menschen verbietet. Im Ganzen geht es um den Angriff auf die Heiligkeit des Lebens, um die Austreibung des Gewissens, um die Wiederherstellung des Rechts auf Töten, d.h. um die Beseitigung der biblischen Handlungsweise.
Auschwitz bleibt ein epochales Mahnwort für das Grauen der industriellen Perfektion millionenfachen Mordes am jüdischen Volk. „Auch wenn nicht alle Opfer Juden waren, so waren doch alle Juden Opfer dieser Verfolgung, die schließlich Europa zu einem ,Friedhof der Juden‘ machte.“ Wie können wir – in aller Stille – eine Antwort geben?
Was ist eine „Theologie nach Auschwitz“? Die Opfer dürfen nicht vergessen werden. Es darf keine Verdrängung Israels mehr geben. Eine Theologie nach Auschwitz aber artikuliert sich nicht zuletzt im Gottesdienst, der sich an Gottes Wort hält. Und Gottes Wort ermöglicht und verlangt nach Übernahme von Verantwortung, es führt zu Scham und Umkehr. Auschwitz ist einmalig, und darf doch aus seinen geschichtlichen Zusammenhängen nicht herausgelöst werden.
Und vor allem: Auschwitz darf sich nicht wiederholen!
Rabbiner Dr. Salomon Almekias-Siegl, IKG Bamberg