28.11.2021 bis 6. Dezember 2021
Hintergründe dieses beliebten Festes
Die Chanukkageschichte ist uns schon aus Kindertagen bekannt. Interessant ist es, sich mit den Hintergründen dieses beliebten Festes zu beschäftigen. Es hat seinen historischen Ort im zweiten Jahrhundert v.u.Z., als das jüdische Land zum Herrschaftsbereich der Seleukiden (Syrien) gehörte. Diese verboten den Juden fast gänzlich, ihre Religion auszuüben. Im Jahr 170 richtete Antiochus IV. Epiphanes („der erschienene Gott“), König von Syrien, ein Blutbad in Jerusalem an und plünderte den Jerusalemer Tempel. Daraufhin formierte sich der jüdische Widerstand gegen die syrisch-hellenistische Religionspolitik unter Leitung des Priesters Mathitjahu und seinen fünf Söhnen. Judas Makkabäus („Hammerschläger“), aus dem Geschlecht der Hasmonäer, besiegt die Syrer und reinigt 164 den Tempel.
Der Krieg der Hasmonäer gegen die Griechen hatte viele Gründe. Im Wesentlichen ging es ihnen darum, den Glauben an den einen Gott Israels zu verteidigen. Der inzwischen im Land und im Tempel durch syrisch-hellenistische Beamte etablierte Götzendienst wurde von ihnen bekämpft.
Motiviert waren die Makkabäer durch ihren Glauben an den Fels Israels. So wagten sie es als Minderheit, den Kampf gegen die offensichtliche Überlegenheit des gegnerischen Militärs aufzunehmen und siegten.
Das aus diesem Sieg hervorgegangene Chanukkafest markiert einen historisch wichtigen Punkt in der Geschichte Israels. Zum ersten Mal schmiedeten die Israeliten einen militärischen Pakt mit Gott.
Diese Feststellung mag auf den ersten Blick überraschen, berichtet uns doch der Tanach häufig von Kriegen, die Israel im Auftrag Gottes führte. Im Vorfeld dieser Kriege traten jedoch immer die Propheten als Sprachrohr Gottes auf. Qua Amt deuteten und erklärten sie die gesellschaftliche, politische und militärische Lage für Israel. Dementsprechend gaben sie göttlich autorisierte Anweisung zum Handeln, Krieg führen oder auch zum Stillhalten. Doch nach dem Wirken Esras und Nehemias erlosch das Prophetentum in Israel. In der Zeit der Hasmonäer gab es keine Propheten mehr, die mit dem Auftrag und der Befähigung ausgestattet waren, Gottes Wort in konkrete politische Situationen hinein zu sprechen.
So zeichnet sich die Dynastie der Hasmonäer im militärischen Kampf gegen die Besatzungsmacht durch ihr unbedingtes Gottvertrauen aus, ohne dass sie sich noch auf die Institution des Prophetenamtes berufen konnte.
Nach Ansicht der Rabbiner lässt sich unsere Weltgeschichte in drei Zeitepochen aufteilen. Die erste umfasst 2000 Jahre Tohu Wawohu. In ihnen steckt die unerfahrene Menschheit sozusagen noch in den Kinderschuhen. Es schließen sich 2000 Jahre an, während derer Tora gelernt wird. Die dritte, ebenfalls 2000 Jahre umfassende Epoche, gestaltet sich als eine anspruchsvolle Zeit. Das aus der Tora gelernte Wissen ist nun im Horizont des kommenden Messias fruchtbar zu machen. Zur Zeit des hasmonäischen Befreiungskampfes sahen viele Juden in Judas Makkabäus den von Israel erhofften Messias, der Israel in die Zeit der Erfüllung führen würde.
In der mündlichen Tora haben sich unsere Weisen für die Feste Chanukka und Purim ausgesprochen. Bei beiden Feiertagen spielt das Thema Wunder eine zentrale Rolle. Doch gibt es einen Unterschied. Zu Chanukka sagen wir das ganze Hallel (Lobpsalmen), während es zu Purim nicht erklingt. Dieses Fehlen erklärt der Talmud damit, dass über ein Wunder, das sich im Ausland ereignet, kein Hallel angestimmt wird. Im Hallel sagen wir: „Gottes Knechte, lobt den Ewigen!“ Doch in der Purimgeschichte blieben wir Knechte des Königs Ahasveros. Zwar wird das jüdische Volk vor dem Tod gerettet, aber es ereignete sich kein Wunder, das zum Auszug aus der Sklaverei in die Freiheit führte.
Demgegenüber feiert das Chanukkafest die politische Verfasstheit, in der das Volk Israel normalerweise existieren sollte. Dazu gehört nach Auffassung des Maharal von Prag (Rabbi Jehuda Löw, ca. 1525 – 1609), dass das Volk in seinem Land frei und selbstbestimmt zusammenleben kann. Diese auf wunderbare Weise wiedergewonnene Unabhängigkeit im eigenen Land zur Zeit des zweiten Tempels wird mit den Festtagen von Chanukka erinnert und begangen.
Im Zusammenhang mit dem Sieg der Schwachen gegen die vielfache Übermacht des syrischen Militärs steht das Wunder des Ölkrügleins zu Chanukka. Nachdem der Tempel gereinigt war, wurde das acht Tage dauernde Fest seiner Einweihung (Chanukka) gefeiert. Der Höhepunkt war das Neuanzünden des goldenen siebenarmigen Leuchters (Menora) im Tempel. Man hatte einen Krug mit Öl gefunden, das nicht von den Händen der Heiden berührt oder durch sie hergestellt war, sondern mit dem Stempel des Hohenpriesters versehen war.
Man glaubte, dass sein Inhalt nur für das Licht eines Tages ausreichen würde. Aber dann geschah das Wunder: die sieben Lichtschalen des Leuchters im Tempel brannten mit dem Öl des kleinen Kruges acht Tage, bis neues Öl nach der Vorschrift hergestellt war. Dieser Vorgang bleibt ein unerklärliches Wunder. Doch manche unserer Weisen sagen sogar, dass es nicht nötig war. Man hätte die Lichter zur Not auch mit unreinem Öl anzünden können. Genauso wie wir in der Lage sind, Pessach inmitten eines unreinen Volkes zu feiern oder den Tempel wieder aufzubauen. Auch fällt auf, dass das Volk Israel viele Wunder im Lauf seiner Geschichte erlebte, aber lange nicht für jedes einen Feiertag festgelegt hat, schon deshalb nicht, weil es dann so gut wie jeden Tag, etwas zu feiern hätte.
Der Maharal erklärt das militärische Wunder zum eigentlichen Mittelpunkt des Festes. Warum aber erwähnt der Talmud das Wunder des Hasmonäersieges nicht? Es fällt auf, dass in der Rolle Tanit aufgrund der zehn errungenen Siege der Hasmonäer nichts von zehn Feiertagen zu lesen ist. Werden in diesen Tagen etwa Kerzen angezündet?
Hanaziv (Rabbi Naftali Zwi Berlin, 1816 – 1893) erklärt, dass Rav Achai im Talmud fragt: Was bedeutet Chanukka? Warum zündet man Kerzen zu diesem Fest an? Seine traditionelle Antwort lautet: Weil die Menge des Öls im Krug nicht nur für einen Tag reichte, sondern für acht Tage.
Und so gab es in Israel immer wieder Lehrer, die das Chanukkafest vor allem als Dank für die Wiedereinweihung des Tempels feiern wollten. Es ist ein Lichterfest, das von der Finsternis ins Licht führt, das die Hoffnung und den Glauben zum Leuchten bringt, ein Fest, das den Monotheismus in den „schönen Gottesdiensten des Herrn“ (Psalm 27,4) feiert.
Doch die zwei Segenssprüche, die zum Anzünden der Kerzen gesprochen werden, weisen uns auch auf das Wunder des militärischen Sieges unserer Vorfahren hin.
So hat Chanukka in unseren Tagen eine große nationale Bedeutung. Bis heute erleben wir Wunder in den Kriegen gegen unsere Feinde, die uns vernichten wollen. Die Siege der Makkabäer sind uns Vorbild für den Selbstbehauptungswillen des jüdischen Volkes, das inmitten einer Welt von Feinden leben und überleben muss; gerade in unseren Tagen, in denen wir Rassismus und Antisemitismus in unverblümten, brutalen Ausprägungen erleben.
Dagegen steht die Botschaft des Chanukkafestes: Macht euch keine Sorgen. Der Herr der Welt streckt seine Flügel über uns und schützt uns vor unseren Feinden. Das Volk Israel darf nicht aufgeben und kapitulieren. Es war damals in der Minderheit und schwach und hat doch den Sieg über das griechische Imperium davongetragen.
Es ist nicht zu übersehen: Es gibt in jeder Generation Menschen, die uns vernichten wollen, aber Gott rettet uns, so wie es in der Pessach Haggada zu lesen ist. Die Botschaft von Chanukka ist: Wir sollen ohne Angst im Angesicht unserer Feinde existieren. Wir werden durch unser Vertrauen auf den Fels Israels siegen.
Chag Sameach!
Rabbiner Dr. S. Almekias-Siegl