Bemidbar (4. Buch Mose) 16:1-18:32 / 5. Tamus 5783 (24. Juni 2023)
Der Abschnitt Korach handelt von einem Aufstand gegen Mosche und Aharon. Angeführt wird er von Korach, Dathan und Aviram.
Sie und ihre Anhänger rebellieren offensichtlich gegen Mosches Machtposition und Führung. Dabei sind die Vorwürfe Korachs auf der einen und Datans und Avirams auf der anderen Seite je unterschiedlich. Dathan und Abiram aus dem Stamm Reuven murren gegen Mosche mit schamloser Schönfärberei im Blick auf die durchlittene Sklaverei in Ägypten und mit bitterer Ironie über den Aufenthalt des Volkes in der Wüste:
„Ist’s nicht genug, dass du uns aus dem Lande geführt hast, darin Milch und Honig fließt, und uns tötest in der Wüste? Musst du auch noch über uns herrschen? Wie fein hast du uns gebracht in ein Land, darin Milch und Honig fließt, und hast uns Äcker und Weinberge zum Erbteil gegeben!“ (Num 16,3+4).
Diese Beschwerde bezieht sich vor allem auf materielle und wirtschaftliche Defizite.
Die Beschwerde Korachs und seiner Anhänger, „zweihundertfünfzig Männer unter den Israeliten, Vorsteher der Gemeinde, von der Versammlung berufen, namhafte Leute“ zielt in eine andere Richtung. Korach geht von der Egalität der Gruppe aus. Die ganze Gemeinde, alle, sind heilig und unmittelbar zu Gott. Seine Schechina ist unter ihnen gegenwärtig und deshalb bedarf es keines Mittlers im Verhältnis zum Ewigen. Hervorgehobene Positionen im Volk Gottes kann es nicht geben. Genau diese aber nehmen Mosche als Botschafter Gottes und Aharon als Priester in der Führung des Volkes ein. Die Beschwerde Korachs ist also spiritueller Natur.
So unterschiedlich diese Klagen auch motiviert sind, führen sie doch beide zu einem bitteren Ende. Die göttliche Strafe trifft die gesamte Gruppe, die sich gegen Mosche und Aharon erhoben hat: Sie werden, wie Korach, Dathan und Aviram, von der Erde verschlungen. Die Vernichtung der 250 Männer, die Räucherwerk geopfert hatten, geschieht durch göttliches Feuer. Ein Zeichen dafür, dass sie sich durch ihre religiöse Überambition an der eigenen spirituellen Flamme verbrannt und zu Tode gebracht haben.
Warum aber endet eine Auseinandersetzung, die auf den ersten Blick mit vernünftigen Argumenten geführt wird, so brutal?
Die Antwort auf diese Frage findet sich im Herzen der mündlichen Tora. Die Geschichte von den Aufständischen belehrt uns über den Unterschied, der zwischen einer Auseinandersetzung besteht, die korrekt geführt wird und der, die die Zerstörung nach sich zieht.
In Mischna Avot 5,17 lesen wir:
„Jeder Meinungsstreit, bei dem es um himmlische Wahrheit geht, hat Bestand. Geht es aber nicht um die himmlische Wahrheit, so hat der Meinungsstreit keinen Bestand.“
Welche ist eine Auseinandersetzung, die um des Himmels willen geführt wird?
Beim Meinungsstreit zwischen Schammai und Hillel.
Die Mischna lehrt, dass im Ansatz jede Auseinandersetzung gegen den Frieden steht. Doch lässt sie die Differenzierung zu, dass es Auseinandersetzungen gibt, die positive und negative Wirkungen haben.
Auseinandersetzungen der Art wie sie von Korach und seiner Gemeinde gesucht und geführt werden, sind jedenfalls keine guten Lehrbeispiele, weil sie sich nicht auf das Himmelreich richten.
Mit dem Begriff des Himmelreichs verbinden wir die Vorstellung, dass wir unser Tun auf Gott im Himmel ausrichten und dort unser religiöses Ziel verankern.
Im Talmud Iruwin 13,2 finden wir dazu weiterführende Gedanken: „Drei Jahre stritten die Schule Schammais und die Schule Hillels miteinander. Die eine sagte, die Halacha sei nach ihrer Ansicht zu entscheiden, die andere sagte, die Halacha sei nach ihrer Ansicht zu entscheiden. Da ertönte eine Stimme aus dem Himmel und sprach: Sowohl die Worte der einen als auch die der anderen sind Worte des lebendigen Gottes – aber die Halacha folgt der Schule von Hillel.
Wenn aber beides Worte des lebendigen Gottes sind, weshalb war es der Schule Hillels beschieden, dass die Halacha nach ihr entschieden wurde?
Weil sie demütig war und sowohl ihre eigene Meinung als auch die der Schule Schammais unterwies. Nicht nur dies, sondern weil sie die Meinung der Schule Schammais der ihren auch voranstellte.“
Die Botschaft dieses Midrasch ist: Auch wenn wir in schwierigen Auseinandersetzungen stehen, sollen wir aufeinander hören. Es ist davon auszugehen, dass beide Seiten im Recht sind, weil sie sich beide auf Gottes lebendiges Wort gründen.
Raschi erklärt dazu in bKet 56a: „Manchmal ist das eine Argument zutreffend und manchmal das andere, denn die Argumentation verändert sich, wie auch die Situation sich ändert, und sei es auch nur in kleinem Maße.“
Bei einer Meinungsverschiedenheit soll jede Seite der anderen zugestehen, dass auch sie etwas Korrektes beizutragen hat. Denn – so schreibt Raw Kook: „Es ist gerade die Vielzahl von Ansichten, die die Weisheit bereichert. Einst werden wir verstehen, dass zum Bau des Friedenshauses all diese Ansichten unentbehrlich sind, die einander nun noch zu widerstreiten scheinen.“
Auch das Buch Sohar beschäftigt sich mit der Frage, worin der Unterschied zwischen der Art der Auseinandersetzung bei Korach und bei Hillel besteht. In seiner Antwort erklärt es den Begriff „Schem Schamayim“ – „Himmelszweck“. Es weist darauf hin, dass es zwischen „Schem“ und „schamayim“ eine sprachliche Verbindung gibt. Ähnlich wie bei den Begriffen ajin (Auge) enayim (Augen) oder jad (Hand) und jadim (Hände). Es handelt sich jeweils um Begriffspaare. Und so entdeckt der Sohar, dass sich im Wort Schamayim der Begriff Schem doppelt. Daraus zieht er den Schluss: Eine Auseinandersetzung um des Himmelreichs willen wird nur sachgerecht geführt, wenn sich die Beteiligten als sich ergänzendes Paar verstehen. Ein Paar setzt sich zwar aus zwei unterschiedlichen Partnern zusammen, es ist aber in der Liebe zueinander verbunden.
Im Blick auf Korach ist festzuhalten, dass er nicht um des Himmelreichs Willen die Auseinandersetzung mit Mosche und Aharon suchte und führte. Er war von Beginn an nicht bereit, die andere Seite zu hören. Er setzte sich und seine Position absolut und verschloss sich gegen die Möglichkeit, partnerschaftlich einen Lösungsversuch anzustreben. Sein Vorgehen glich einem Fahren in einer Einbahnstraße. Es führte zu seiner eigenen Vernichtung.
Rabbiner Dr. S. Almekias-Siegl