Paraschat Tasria-Mezora

Wajikra/Leviticus (3. Buch Mose) 12,1 – 13,59 (1. Ijar 5783/ 22. April 2023)

Der Abschnitt Mezora widmet sich den Menschen, die vom Aussatz befallen sind. Die Flecken, die den Körper eines Aussätzigen verunstalten, kommen nicht von ungefähr – so die Erklärung der Tora. Sie offenbaren, dass der Kranke sich übler Nachrede hingegeben hat. 

Der Hautausschlag, der Zaraat genannt wird, gleicht keiner Krankheit, die die Medizin kennt und von ihrer Heilkunst Besserung erfahren könnte. Verursacht wird sie nicht primär von somatischen Veränderungen. Sie offenbart mit ihrem Auftreten vielmehr ethisches Fehlverhalten. Der Ausschlag zeigt sich auf der Haut. Sie ist das Organ, das den Menschen mit seiner Umwelt in Kontakt treten lässt und verbindet. Sie ermöglicht uns, andere Lebewesen zu berühren und intime Nähe aufzubauen.

Diese Form der Kommunikation wird durch das Auftreten eines Ausschlages beeinträchtigt, beziehungsweise im Falle von Ansteckungsgefahr unmöglich gemacht. Es kommt zur Abgrenzung zwischen dem Erkrankten und seiner Umwelt. Zaraat steht für die Störung im sozialen, zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Miteinander. Sie zeigt am Körper des Erkrankten an, dass er in negativer Beziehung zu seinem Umfeld lebt. Er denkt und redet schlecht von seinen Mitmenschen. Das sehen wir auch, wenn wir das Wort „Mezora“ aufschlüsseln in seinen Bestand aus den drei Wörtern “Mozi-schem-ra“ – „Einer/eine der/die den Namen eines anderen schlecht redet. Er vergiftet die gesellschaftliche Atmosphäre, und dieses Tun fällt auf ihn zurück. Es manifestiert sich mit der Zeit für alle öffentlich sichtbar auf seiner unreinen Haut. Und diese zwingt ihn wiederum dazu, sich von der Gesellschaft zu distanzieren, sich in Isolation zu begeben. So wird er daran gehindert, die Gemeinschaft weiter mit seiner Bösartigkeit zu belasten. In dieser Situation hat er Gelegenheit, in sich zu gehen und sein bisheriges Verhalten kritisch zu überprüfen. Er wird motiviert sein, so schnell wie möglich in sein vertrautes Umfeld zurückkehren zu können und entsprechend ernsthaft und tiefgehend seine Fehler und Sünde zu erkennen und zu korrigieren.

Interessant und nach allem, was wir bisher über diese Hautkran

kheit erfahren haben, wird ein von ihr befallener Mensch nicht zum Arzt, sondern zum Priester geschickt, denn er stiftet von Amts wegen Liebe und Frieden in der Welt.

Hillel sagt in Mischna Avot 1,12: Hillel und Schammai empfingen von ihnen. Hillel sagt: Sei von Aarons Schülern, Frieden liebend und nach Frieden strebend, die Geschöpfe liebend und sie näher bringend zur Tora.

Das bedeutet: Das Medikament, das bei Aussatz hilft, ist jemand, der Menschen liebt. So geht die Quarantäne, die der Priester bei dieser Krankheit anordnet, nicht auf die Diagnose irgendeiner Viruskrankheit zurück. Das Urteil des Priesters lautet vielmehr: Ein an Zaraat leidender ist jemand, dem es an Menschenliebe mangelt, der keine Tora lernt und sich von ihr entfernt hat. Das macht ihn krank.

Der Priester entscheidet auch darüber, ob der Mezora wieder gesund geworden ist und wann er in die Gesellschaft zurückkehren kann. „Und wenn der Priester ihn dann besieht und findet, dass der Aussatz den ganzen Leib bedeckt hat, so soll er den Kranken für rein erklären, weil alles an ihm weiß geworden ist; er ist rein. Findet sich aber wildes Fleisch an dem Tage, da er besehen wird, so ist er unrein (Lev 13,13-14).“

Diese Anweisung bestätigt noch einmal: Wenn es sich um ein medizinisches Problem handelte, wäre diese Aussage nicht logisch. Trotzdem, erklärt Rabbiner Ibn Esra diese Verse, stellt der Priester am äußeren Erscheinungsbild des von Zaraat befallenen fest, ob er noch im Zustand der Unreinheit ist oder diesen überwunden hat. Nun stellt sich jedoch die Frage: Warum wird er andere nicht mehr unrein machen, wenn doch sein ganzer Körper vom Aussatz bedeckt ist?

Darauf antwortet er Chatam sofer: Der Aussatzkranke, der sich übler Nachrede schuldig gemacht hat, ist in seiner Schlechtigkeit z.B. dem Pharao zu vergleichen. Von ihnen wissen wir: Sie sind erschaffen, um dem Volk Israel die Möglichkeit zur Teschuva zu geben.

Die Erfahrung lehrt uns: Wenn wir absolut bösen Menschen begegnen, die sich daran versuchen, die jüdische Welt zu vernichten, dann besteht für uns keine Gefahr, dass wir ihnen ähnlich werden. Wir erkennen dann ohne Zweifel, wo Gefahr droht. Der Frevler Haman, der das jüdische Volk ausrotten wollte, brachte das Volk zur Umkehr.

Zum Zeichen, dass Haman von König Ahasveros die Erlaubnis hatte, die Juden zu vernichten, zog dieser seinen Siegelring vom Finger und übergab ihm seinem obersten Fürsten. Dazu schreibt der Talmud: Das Abziehen des Siegelringes wirkte mehr, als die achtundvierzig Propheten und sieben Prophetinnen, die Israel predigten: sie alle bekehrten sie nicht zum Guten, während das Abziehen des Siegelringes sie zum Guten bekehrte“ (Bab. Tal., Megilla 14,1).

In Paraschat Mezora wird darüber hinaus auch vom Aussatz an Kleidern und Häusern gesprochen. Diese Aussagen stützen die Auslegung, dass es sich primär bei der Zaraat um keine Hautkrankheit handelt, sondern um die Beeinträchtigung von zwischenmenschlichen Beziehungen privater wie auch gesellschaftlicher Größenordnung.

Wird die Kleidung vom Aussatz befallen, ist das ein Zeichen, dass z.B. ein Richter, ein Arzt oder ein Soldat nicht seinem Auftrag gemäß handelt.

Findet sich an einem Haus Zaraat, kann man darauf schließen, dass seine Bewohner sich außerhalb ihrer Privatsphäre eher als unangenehme Zeitgenossen offenbaren, während sie innerhalb ihres Familienkreises vorteilhafter auftreten.

Über die Zerstörung Jerusalems steht in den Klageliedern geschrieben: „Wie liegt die Stadt so verlassen, die an Volk so zahlreich war. Sie ist wie eine Witwe geworden“ (1,1). Diese Beschreibung Jerusalems lässt uns an das Krankheitsbild der Mezora denken, die hier weite gesellschaftliche Kreise gezogen hat. Wir lernen hier: Auch das Land und der Staat Israel kann sich einen schlechten Ruf erwerben, wenn sich in ihm Hass und Rassismus ausbreiten.

Demgegenüber ist die Tora daran interessiert daran, dass wir eine gerechte und lebensfreundliche Gesellschaft aufbauen, in der sich Anspruch und Wirklichkeit unseres ethischen Handelns in Übereinstimmung befindet.

Rabbiner Dr. S. Almekias-Siegl